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Stadt Zürich
25.08.2023
02.01.2024 12:02 Uhr

Vom Bäckerssohn und Lieferjungen zur gefeierten Radsport-Legende der Nation

Er war der gefeierte Rennradprofi der Nachkriegszeit und gilt im Schweizer Velorennsport bis heute als Legende: Der Zürcher «Pédaleur de Charme» Hugo Koblet.
Er war der gefeierte Rennradprofi der Nachkriegszeit und gilt im Schweizer Velorennsport bis heute als Legende: Der Zürcher «Pédaleur de Charme» Hugo Koblet. Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv
ZEITREISE – Der Zürcher Bäckerssohn und dreifache «Tour de Suisse»-Gewinner Hugo Koblet ist auch 65 Jahre nach seinem Rücktritt aus dem Profisport unvergessen. Bis heute gilt der als «Pédaleur de Charme» bekannte Velorennfahrer als Legende im Schweizer Radsport.

Dominique Rais

Aufgewachsen im einstigen Arbeiter­viertel Aussersihl war Hugo Koblet (†39, 1925–1964) schon als junger Bursche viel mit dem Velo unterwegs. Im Betrieb seiner Eltern Adolf und Helene, einer kleinen, aber angesehenen Bäckerei an der Hildastrasse beim Lochergut, musste Koblet nach dem Tod seines Vaters schon früh mitanpacken. Als jüngster Spross der Familie war er damals für die Aus­lieferung der Backwaren per Velo verantwortlich. Später beginnt er eine Lehre als Fahrradmechaniker auf der Offenen Rennbahn Oerlikon und kommt so in Berührung mit den renommierten Radsportlern und Veloteammanagern der damaligen Zeit.

Der Bahnradsport erfreut sich zu jener Zeit zunehmender Beliebtheit. Und so erliegt damals auch Koblet selbst dem Bann des Bahnradsport. 1943 – vor nun mehr 80 Jahren – bestreitet der gerade mal 18-jährige Koblet sein erstes Amateur­rennen. Zwei Jahre später, 1945, fährt er beim Schweizer Bahnverfolgungsrennen den Amateurmeistertitel ein. Im Folgejahr wechselt er in die Profisportliga. Für Koblet gab es von da an kein Halten mehr. So gelang es dem Bäckerssohn in den darauffolgenden Jahren, seinen Titel als Schweizer Bahnmeister wiederholt zu verteidigen. Trotz seiner nationalen Siege blieb der Durchbruch auf internationaler Ebene vorerst noch aus.

Der rasante Aufstieg von Zürichs «Pédaleur de Charme»

Schon bald aber blieb Koblets Talent auf dem Zweirad nicht länger unbemerkt. Spätestens dann, als er 1947 auf der Etappe Zürich–Siebnen den Etappensieg erlangte. Anfang 1950 stösst Koblet auf Empfehlung hin als Ersatzfahrer zum Team des ehe­maligen italienischen Profi-Radrenn­fahrers und Giro-Gewinners Learco Guerra (1902–1963). Im Sommer 1950 gewinnt er als erster Nicht-Italiener überhaupt den 33. Giro d’Italia. Von da an geht es für Koblet steil bergauf.

Insgesamt drei Mal hat der Zürcher Bäckerssohn den Sieg an der Tour de Suisse eingefahren – 1950, 1953 und 1955. Bild: Wim van Rossem / Nationaal Archief

Als «Pédaleur de Charme» avanciert der Bäckers­sohn schon bald zum ge­feierten Publikumsliebling und Star der Schweizer Radsportszene. Ebenso legendär wie seine sportliche Leistung waren auch seine umkämpften Duelle mit seinem Renn­velo-Rivalen Ferdy Kübler (1919– 2016). Eben jene Wettstreite zwischen den beiden Kontrahenten verhalfen der Tour de Suisse in den 1950er-Jahren zu ihrer Blüte­zeit.

Erstmals überhaupt stattgefunden hatte die Tour de Suisse bereits 20 Jahre zuvor. Startschuss in Zürich war damals der 28. August 1933. Mit elf Etappensiegen rangiert Hugo Koblet zusammen mit seinem Erzrivalen Ferdy Kübler sowie dem 2016 zurückgetretenen Velorennprofi Fabian Cancellara (42) bis heute auf Platz zwei der «Tour de Suisse»-Bestenliste. Mit de facto 18 Siegen in seiner Karriere gelang es einzig dem Slowaken Peter Sagan (33), mehr Etappensiege einzufahren. Bis heute ist die Schweiz mit 17 Gesamt­siegen die erfolgreichste Nation des prestige­trächtigen Schweizer Velorennens. Dazu beige­tragen hat nicht zuletzt auch Hugo Koblet selbst. Denn insgesamt drei Mal hat der Zürcher den Sieg an der Tour de Suisse eingefahren – 1950, 1953 und 1955.

Vom gefeierten Sportler zum gescheiterten Geschäftsmann

Auf dem Höhepunkt seiner Karriere angelangt, brach seine Leistung damals schlagartig ein. Die genauen Gründe dafür sind bis heute unklar. Auch wenn im Laufe der vergangenen Jahre mehrere Biografien über die Rennradlegende veröffentlich wurden, so geht aus keiner davon hervor, was einst zum plötzlichen Leistungsabfall des Ikarus auf Rädern geführt hatte.

Im Herbst 1958, vor 65 Jahren, gab Hugo Koblet letztlich schweren Herzens seinen Rücktritt aus dem Profi-­Velorennsport bekannt. Kurz darauf zog er zusammen mit seiner Frau, die er 1954 geheiratet hatte, nach Caracas. Abseits der Velorennstrecke wollte sich Koblet in Venezuela zusammen mit seiner Frau ein Leben als Geschäftsmann aufbauen. Doch sein Vorhaben scheiterte – beruflich wie auch privat. Wegen seiner zahlreichen Affären letztlich von seiner Frau ver­lassen, kehrte Koblet nur zwei Jahre später alleine nach Zürich zurück.

In Oerlikon, unweit der Offenen Rennbahn, bezog er über der Tankstelle, die ihm gehörte, eine Einzimmerwohnung, in der er fortan lebte. Doch er vermochte den tiefen Fall vom gefeierten Sportler zum gescheiterten Geschäftsmann nicht verkraften. Am 2. November 1964 krachte Koblet auf der Landstrasse zwischen Mönchaltorf und Esslingen mit seinem weissen Alfa Romeo Giulia in einen Baum. Vier Tage später erlag er im Spital Uster seinen Verletzungen. Seine sportliche Leistung bleibt dennoch unvergessen. Der im Jahr 1999 in Zürich nach dem «Pédaleur de Charme» benannte Hugo- Koblet-Weg, der zwischen der Wallisellen- und der Siewerdtstrasse unweit der Offenen Rennbahn Oerlikon verläuft, erinnert bis heute an das Vermächtnis des einstigen Zürcher Ausnahmesportlers.

Zeitreise: eine historische Serie

Die historische Serie «Zeitreise» taucht ein in Zürichs Vergangenheit und greift die Geschichten von Menschen und geschichtsträchtigen Ereignissen längst vergangener Tage auf.

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Dominique Rais