Am 30. Oktober sind es genau 20 Jahre her, seit am Himmel über dem Pfannenstiel Hochbetrieb in Sachen Flugverkehr herrscht. Zumindest zwischen 5 Uhr 59 und 7 Uhr, aber auch abends. Doch das genügt naturgemäss, um Leute zu stören. Die Rede ist von 47 000 Menschen, die an übermässigem Flughafenlärm leiden. Beispielsweise in Meilen, Zumikon, in Binz auf der Forch, aber auch in Gockhausen, Schwamendingen, Wallisellen und Glattbrugg.
Grund der sogenannten Südanflüge ist, dass vor 20 Jahren Deutschland nicht mehr einverstanden war damit, dass die meisten Anflüge entgegen einer Verwaltungsvereinbarung von 1984 vom Schwarzwald her abgewickelt wurden. Seither wird um die Verteilung der Flüge gestritten.
Nicht nur die Südanflüge
Dabei sind die Südanflüge bei weitem nicht die einzige Fluglärmquelle. Wer an einer Strasse wohnt, weiss, dass ein lauter Töff um Mitternacht das halbe Quartier aufwecken kann. Ähnlich ist es mit den Flugzeugen, die zwischen 23 und 6 Uhr starten oder landen. Laut dem Flughafen Zürich wurden im Jahr 2022 4,7 % (2021: 3,5 %) der Flugbewegungen nachts durchgeführt, also zwischen 22 und 6 Uhr, dann gilt die eidgenössischen Lärmschutzverordnung.
Für insgesamt 241 Flüge (2021: 75 Flüge), die während der Nachtflugsperrzeit (23.30 bis 6 Uhr) stattfanden, wurden Ausnahmebewilligungen ausgestellt, so der Flughafen weiter. Und noch mehr Zahlen als Beispiele: In den Monaten August und Juli 2023 starteten und landeten nach 23 Uhr insgesamt 940 Flugzeuge. Die Tendenz ist also steigend.
Knatsch um die Begrifflichkeiten
Doch nur schon beim Begriff «Nachtsperrzeit» liegt man sich in den Haaren. Der Flughafen sagt, geflogen werden dürfe zwischen 6 und 23.30 Uhr. Das Bundesamt für Luftfahrt in Bern, das dem Flughafen traditionell nahesteht, sieht dabei wenig Probleme. Das Bundesamt für Umwelt hingegen schreibt auf seiner Website: «Für den Flughafen Zürich gilt eine Nachtflugsperre von 23 bis 6 Uhr. Vorbehalten ist der ordentliche Verspätungsabbau für Starts und Landungen bis 23.30 Uhr.» Dies meldete kürzlich der «Zürcher Unterländer».
Wie schätzen Fluglärmvereinigungen die Situation ein? Für Edi Rosenstein, Geschäftsführer und Vorstandsmitglied des Vereins «Flugschneise Süd – NEIN (VFSN)» hat sich die Situation in den letzten 20 Jahren nicht wesentlich verbessert, obwohl die Flugzeuge zum Teil etwas leiser geworden seien: «Trotzdem wird die Bevölkerung im am dichtesten besiedelten Gebiet nach wie vor morgens um 6 Uhr geweckt respektive abends am Einschlafen gehindert.» Auch dank dem VFSN seien aber die geplanten Südstarts nur bei Bise, nicht aber bei Nebel ins Betriebskonzept aufgenommen worden. Heute fänden aber viel häufiger Abendanflüge über den Süden statt, teilweise sogar untertags.
Urs Dietschi, Kantonsrat (Grüne) und Vizepräsident des Vereins «FAIR in AIR» (vormals Bürgerprotest Fluglärm Ost), stört sich generell an den Betriebszeiten auf dem Flughafen. «Diese werden mit immer mehr Ausreden verlängert zum massiven Nachteil der Bevölkerung in der gesamten Flughafenregion.» Der Verspätungsabbau (23 bis 23.30 Uhr) werde als Betriebszeit missbraucht. Dietschi kritisiert zudem, dass die Ausnahmen von einer Stelle im Flughafen bewilligt werden. «Das unabhängig zu nennen, ist eine Anmassung der Fluglobby. Diese Stelle ist auszugliedern und hat sich streng an die Gesetze zu halten und hat nicht nach den Bedürfnissen der Fluglobby zu agieren», fordert Dietschi.
Implizit keine Klimaschützer
Während Dietschi die Vielfliegerei per se anprangert und Klimaabgaben auch für die Fliegerei fordert, sieht das der Verein «Flugschneise Süd – NEIN» differenzierter. «Wir sind für die Verhinderung der Südüberflüge. Dies heisst implizit, dass wir weder gegen die Fliegerei sind noch dass wir Klimaschützer sind», so Rosenstein. Man widme sich dem Kampf gegen die Südüberflüge. Dies tue man ohne Anbindung an irgendeine Partei oder sonstige politische Gruppierung. So würde man uneingeschränkte Nordanflüge selbstverständlich sehr begrüssen, «ebenso wie der machbare gekröpfte Nordanflug. Je nachdem, wie die Gesamtsituation dann aussehen würde, würden wir unsere Aufgaben und Ziele überdenken und allenfalls anpassen». Eine Auflösung des VFSN sei leider aber so schnell noch nicht in Sicht. «Gekröpfter Nordanflug» bedeutet eine Anflugvariante mit enger Kurve ausschliesslich über Schweizer Gebiet.
Grössere Bevölkerung = mehr Flüge
Unabhängig vom Plan des Flughafens, zwei Pisten zu verlängern (siehe grosses Bild), rechnen die Flughafenverantwortlichen mit einem spürbaren Anstieg der Flugbewegungen. «Wir gingen und gehen im Moment davon aus, dass wir das Vor-Corona-Niveau 2025 wieder erreichen werden. Im September 2023 lagen die Flugbewegungen bei 96 Prozent des Niveaus von 2019.» Die Passagiernachfrage werde langfristig entlang der Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung zunehmen.
Somit ist klar: Der Flughafen hofft auf ein lineares Wachstum der Flugbewegungen. Und ist überzeugt: «Wenn die modernen Flugzeuge wie zum Beispiel der A350, A320 NEO, Embraer E2 oder etwa der B787 die älteren Modelle grösstenteils ersetzt haben, wird die Fluglärm- und Schadstoffbelastung auch bei zunehmendem Flugverkehr nicht wesentlich steigen.»
Das sieht Urs Dietschi anders: Die Ziele des Flughafens seien 331 000 Flugbewegungen bis 2030 und 50 Millionen Passagiere (also 425 000 Flugbewegungen) bis 2040. «Dazu reicht nicht einmal mehr die heute nicht eingehaltene Betriebszeit», ist Dietschi überzeugt. So werde die ganze Region um den Flughafen massiv mit mehr Flugemissionen belästigt. «Länger und mehr als heute», findet Dietschi von «FAIR in AIR». Er führt ins Feld, dass es andere Beispiele gebe.
Holland macht es anders
Tatsächlich hat die niederländische Regierung den Trend nach immer mehr Flugbewegungen gebrochen. Ab diesem November muss Amsterdam Schiphol seine Flugbewegungen um rund 12 Prozent senken und kann eine geplante Piste nicht bauen. Die niederländische Regierung hat das beschlossen wegen des Schutzes der Bevölkerung und wegen des Umweltschutzes. Die «Flugrevue» schreibt dazu, dies treffe die Fluggesellschaft KLM enorm. Umgesetzt wird es nun trotzdem.