SRF 2 Kultur gilt als die Elite-Abteilung unter den Deutschschweizer Radios. Dessen ungeachtet lässt sich die Redaktion auf Experimente ein. So bringt man am letzten Februar-Samstag zur besten Sendezeit das Hörspiel «Warum es sich lohnt, auf die Welt zu kommen». Es handelt sich um eine polyfone Collage, in der es, kaschiert in einer Partie Fantasy-Fussball, um hautnahe jugendliche Lebenswirklichkeit geht: um Schmerz und Wut, Rivalität und Kampf, Freundschaft und Liebe. Geschrieben und gesprochen wurde das Hörspiel von 30 Jugendlichen aus Altstetten und Zürich-Nord in Zusammenarbeit mit einer Reihe namhafter Künstlerinnen und Künstler.
Wie alles anfing
Das Abenteuer begann 2022 im Jungen Literaturlabor (JULL) an der Bärengasse. Dort schrieben eine Klasse der Sek Kappeli und eine Klasse der Sek Riedenhalden in einem Dutzend Workshops je einen Klassenroman. Gecoacht wurden sie von der Schriftstellerin Johanna Lier und vom Autor Guy Krneta. Während sich die Jungautorengruppe aus dem Kreis 9 beim Dichten eine ebenso wilde wie überraschungsreiche Fantasy-Partie zwischen dem glorreichen FCZ und dem vampirischen FC Transsilvanien lieferte (Resultat 3:3 plus in der Nachspielzeit ein paar auferstandene Tote), widmeten sich die Jugendlichen aus Neu-Affoltern existenziellen Grundfragen: Wie sieht mein Leben mit 20 aus, mit 30, 40, 60? Die Antworten lauten etwa: «Wenn ich 30 bin, werde ich auf meine Eltern aufpassen.» Oder: «Wenn ich 40 bin, schneide ich mir die Haare selber ...» Die fertigen Werke wurden unter dem Titel «Traumgeburt» bzw. dem Südkurven-Slogan «Nie usenand gah!» gedruckt und an öffentlichen Buchvernissagen vorgestellt.
Support vom renommierten Profi
Dann begann Phase 2: Aus Berlin reiste Martin Engler an, um aus den zwei Klassenromanen ein Hörspiel zu machen. Der 57-jährige Regisseur und Komponist arbeitet für alle grossen deutschen Kulturradios sowie als Professor an der renommierten Ernst-Busch-Hochschule für Schauspielkunst. Trotzdem kam er, wie er im Rückblick lachend erzählt, im kleinen JULL-Tonstudio auch mal an seine Grenzen: «Wenn Jugendliche ein Mikrofon sehen, müssen sie ja erst mal eines tun: so laut es geht hineinschreien!»
Zwei Wochen später reiste Engler mit 3000 «Takes» plus einem leichten Tinnitus zurück nach Berlin, wo er die gelungensten Audios auswählte und zu einem 57-minütigen Hörspiel formte. Dabei setzte der Regisseur als Background auch Soundtracks des Zürcher Klangkünstlers An Moku ein.
Der riesige Aufwand hat sich gelohnt, wie letzte Woche im JULL an einer öffentlichen Pre-Listening-Session zu erleben war. Ungeachtet der Blutgrätschen fussballspielender Vampire ist das neue SRF-Hörspiel vor allem eines: eine berührende Reise durch die hochemotionellen Lebenswelten heutiger Zürcher Jugendlicher, von denen übrigens inzwischen viele mitten in einem neuen Leben stehen. Nämlich als Lernende von Berufen wie Hauswart, Pflegefachfrau, Automechaniker, Dentalassistentin...