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Kultur
28.02.2024
28.02.2024 08:45 Uhr

Dieses Buch ist ein Muss für Leseratten

Autorinnen und Autoren aus «19/21 Synchron global» (Ausschnitt aus dem Poster).
Autorinnen und Autoren aus «19/21 Synchron global» (Ausschnitt aus dem Poster). Bild: Claudio Fedrigo
Amuse-Bouches der Weltliteratur: Zwei Jahre nach seinem Schweizer Lesebuch «20/21 Synchron» legt der bekannte Zürcher Literaturvermittler Charles Linsmayer nun das weltliterarische Gegenstück «19/21 Synchron global» vor.

Lisa Maire

Wie schon das Schweizer Anthologie-Projekt versammelt auch «19/21 Synchron global» kurze Prosatexte und Gedichte von 135 Autorinnen und Autoren, wobei der zeitliche Rahmen der Auswahl diesmal 50 Jahre weiter zurückreicht – bis 1870. Er habe unbedingt Émile Zola und Victor Hugo mit dabeihaben wollen, erklärt Charles Linsmayer dazu. Für ihn sind die beiden französischen Dichtergrössen, die sich in ihren Büchern auch mit politischen Zusammenhängen kritisch auseinandersetzten, erste moderne Autoren.

Abgesehen vom erweiterten Zeitrahmen ist das neue Lesebuch gleich aufgebaut wie das erste: angefangen bei den Porträts aus der Hand des Fribourger Zeichners Claudio Fedrigo, die Cover und Rückseite des Buchs zieren – und diesmal auch die 135 von Linsmayer verfassten Kurzbiografien – bis hin zu der thematisch geordneten Abfolge der ausgewählten Texte. Das heisst, bedeutende literarische Stimmen aus 45 Ländern und drei Jahrhunderten erklingen «synchron» zu ewig gültigen Themen wie Kindheit, Liebe, Freiheit, Leben und Tod, zu Emigration, Ausgrenzung, Krieg, zu Wahrheit, Satire, dem Schreiben an sich.

Subjektive Auswahl

Wer ein Buch mit «weltliterarisch» untertitle, begebe sich auf schwieriges Gelände, schreibt Linsmayer in seinem ausführlichen Nachwort zur Textauswahl. Denn einerseits wächst der weltweite Kanon der dichterischen Leistungen, denen über die Zeiten hinweg eine kulturhistorische Bedeutung zugeschrieben wurde und wird. Andererseits ist der Begriff «Weltliteratur» – infolge kritischer Neu­beurteilungen von Früherem – auch einer ständigen Erosion ausgesetzt.

Das epochale Nachschlagewerk «Kind­lers Literatur Lexikon» listet in seiner ­dritten, starken Neubearbeitung von 2009 insgesamt über 13 000 Werke aus allen ­Literaturen der Welt. Für sein Buch mit 135 Autorinnen und Autoren beansprucht Linsmayer denn auch keinerlei Repräsentativität. Seine Auswahl sei eine subjektive, die auf eigener Leseerfahrung und persönlichen Vorlieben beruhe, sagt er auf Nachfrage. «Das ging einfach nicht anders. Es gibt keine glaubhaft objektiven Kriterien, nach denen ich mich hätte richten können.»

Reinzoomen und entdecken: Autorinnen und Autoren aus «19/21 Synchron global» (Poster). Bild: Claudio Fedrigo

Schmerzliche Verzichte

Ursprünglich standen auf Linsmayers persönlicher Liste für das weltliterarische Lesebuch 400 Namen. «Von 400 auf 135 runterzukommen – das war schon auch ein schmerzlicher Prozess», seufzt der Her­ausgeber. Dabei hatte er auch mit der Krux zu kämpfen, «kurze Texte zu finden, die für sich stehen können, nicht einfach aus einem Zusammenhang herausgerissen sind». Auch die Abdruckrechte forderten ihren Tribut. Es sei generell nicht einfach und manchmal ausgesprochen kompliziert gewesen, an die Copyrights zu kommen, so Linsmayer. In einzelnen Fällen waren die Abdruckbedingungen der Verlage unrealistisch, in anderen Fällen kamen Absagen. Auch wenn ihn der Verzicht auf gewisse Autoren und Autorinnen (zum Beispiel aus Japan, China, Marokko, Österreich) schmerzt: «Am Schluss stimmt die Auswahl schon», ist der Herausgeber überzeugt. «Ich stehe zu ihr, es gibt keine Lückenbüsser.»

Dass Linsmayer, anerkannter Experte für Schweizer Literatur, sich nun als Herausgeber in weltliterarische Gefilde begibt, mag neu sein. Und bleibt doch ein weiteres Zeugnis seines seit Jahrzehnten unermüdlichen Bemühens, ein breites ­Publikum zum Spass am Lesen anzuregen.

In diesem Sinne bieten auch die über 600 Seiten von «19/21 Synchron global» eine unterhaltsame und beeindruckende Entdeckungsreise. Die kurzen Texte und zugehörigen Biografien funktionieren dabei wie Amuse-Bouches: Sie dämpfen den ersten Hunger und machen Appetit auf mehr. Auf dem Schreibtisch der Rezensentin jedenfalls liegt jetzt eine Einkaufsliste für einen Stapel mit neuem Lesestoff bereit.

Charles Linsmayer (Hg.), 19/21 Synchron global. Ein weltliterarisches Lesebuch von 1870 bis 2020. Reprinted by Huber, Bd. 41, Verlag Th. Gut, Zürich, 2024, 656 Seiten.ISBN 978-3-85717-299-1

Charles Linsmayer (78) ist Publizist, Literaturkritiker und Schriftsteller. Bild: Corinne Stoll

Passionierter Vermittler

Der 78-jährige Zürcher Germanist, Journalist und Herausgeber Charles Linsmayer gilt weitherum als Kenner und Vermittler von Schweizer Literatur. Zu seinem herausgeberischen Lebenswerk gehören bisher weit über 100 Neuausgaben von Werken (meist) nicht mehr lebender Schweizer Autorinnen und Autoren. Dazu kommen ­unzählige Buchbesprechungen, Literaturausstellungen, Lesungen und Autorengespräche. So auch die «Hottinger Literaturgespräche», die er 2011 in seinem Wohnquartier Hottingen lancierte und inzwischen am Theater Neumarkt weiterführt – noch bis 26. März, dann ist Schluss mit der erfolgreichen Veranstaltungsreihe. Linsmayer wurde für seine Tätigkeit als Literaturvermittler mehrfach ausgezeichnet. (mai.)

Lisa Maire/Zürich24