Lisa Maire
Wie schon das Schweizer Anthologie-Projekt versammelt auch «19/21 Synchron global» kurze Prosatexte und Gedichte von 135 Autorinnen und Autoren, wobei der zeitliche Rahmen der Auswahl diesmal 50 Jahre weiter zurückreicht – bis 1870. Er habe unbedingt Émile Zola und Victor Hugo mit dabeihaben wollen, erklärt Charles Linsmayer dazu. Für ihn sind die beiden französischen Dichtergrössen, die sich in ihren Büchern auch mit politischen Zusammenhängen kritisch auseinandersetzten, erste moderne Autoren.
Abgesehen vom erweiterten Zeitrahmen ist das neue Lesebuch gleich aufgebaut wie das erste: angefangen bei den Porträts aus der Hand des Fribourger Zeichners Claudio Fedrigo, die Cover und Rückseite des Buchs zieren – und diesmal auch die 135 von Linsmayer verfassten Kurzbiografien – bis hin zu der thematisch geordneten Abfolge der ausgewählten Texte. Das heisst, bedeutende literarische Stimmen aus 45 Ländern und drei Jahrhunderten erklingen «synchron» zu ewig gültigen Themen wie Kindheit, Liebe, Freiheit, Leben und Tod, zu Emigration, Ausgrenzung, Krieg, zu Wahrheit, Satire, dem Schreiben an sich.
Subjektive Auswahl
Wer ein Buch mit «weltliterarisch» untertitle, begebe sich auf schwieriges Gelände, schreibt Linsmayer in seinem ausführlichen Nachwort zur Textauswahl. Denn einerseits wächst der weltweite Kanon der dichterischen Leistungen, denen über die Zeiten hinweg eine kulturhistorische Bedeutung zugeschrieben wurde und wird. Andererseits ist der Begriff «Weltliteratur» – infolge kritischer Neubeurteilungen von Früherem – auch einer ständigen Erosion ausgesetzt.
Das epochale Nachschlagewerk «Kindlers Literatur Lexikon» listet in seiner dritten, starken Neubearbeitung von 2009 insgesamt über 13 000 Werke aus allen Literaturen der Welt. Für sein Buch mit 135 Autorinnen und Autoren beansprucht Linsmayer denn auch keinerlei Repräsentativität. Seine Auswahl sei eine subjektive, die auf eigener Leseerfahrung und persönlichen Vorlieben beruhe, sagt er auf Nachfrage. «Das ging einfach nicht anders. Es gibt keine glaubhaft objektiven Kriterien, nach denen ich mich hätte richten können.»