Jeannette Gerber
Das Motorschiff Etzel lag am 2. März festlich beflaggt im Hafen Enge, um zu seinem 90-jährigen Bestehen Genossenschafter und Mitglieder des Vereins Pro MS Etzel zu einer kostenlosen einstündigen Rundfahrt einzuladen.
Begrüsst wurden die Gäste durch den heutigen Präsidenten der Genossenschaft, Olivier Morel: «Das Motorschiff Etzel wurde 1934 im Hinblick auf die Schweizerische Landesausstellung 1939 als Passagierschiff für den Zürichsee gebaut.» Nach der Ausmusterung als Kursschiff der Zürichsee-Schifffahrtsgesellschaft sollte es, wie die drei anderen ehemaligen Landi-Schiffe, ins Ausland verkauft werden. «Doch das musste verhindert werden», sagte Morel. Um es als letzten Zeitzeugen zu erhalten, sei 1999 ein Verein gegründet worden, und die Genossenschaft MS Etzel habe 2001 den Betrieb übernommen.
Erstes Schiff mit Verstellpropeller
1933 erteilte die Zürcher Dampfbootgesellschaft der Maschinenfabrik Escher Wyss den Auftrag, ein Motorschiff – kurz MS – für 200 Personen zu bauen. Man wollte etwas an der Landesausstellung 1939 vorzeigen können. Schliesslich stellte sich heraus, dass das Schiff eine Weltpremiere war, erdacht, finanziert und gebaut von der ETH Zürich, von Escher Wyss und der Schifffahrtsgesellschaft.
Das MS Etzel war das erste Schiff mit einem hydraulischen Verstellpropeller weltweit. «Das heisst, um langsam zu manövrieren, werden nicht die Tourenzahl und die Drehrichtung der Maschine geändert, sondern der Kapitän winkelt über einen Hebel im Steuerhaus die Propellerflügel entsprechend an. Das war eine bahnbrechende neue Technologie», erklärte der Chefkapitän Martin Schrepfer.
Vor 90 Jahren, genauer am 1. März 1934, wurde das Schiff dann von den EscherWyss-Werkhallen im Kreis 5 zum Hafen Enge transportiert und vom Stapel gelassen, um dann später im Hafen Wollishofen fertiggestellt zu werden. Am 8. Juni 1934 nahm das MS Etzel den Passagierbetrieb auf.
Als ein Gast fragte, ob man diesen Verstellpropeller auch ansehen könne, meinte Schrepfer, er könne diesen aus dem Maschinenraum erklären. Woraufhin er durch eine Luke hinunterstieg und entsprechend informierte.
Bevor das Schiff den Hafen Enge verliess, hatten sich die Betreiber etwas Nettes einfallen lassen. Sie liessen das elektrisch betriebene Modellschiff MS Etzel eine Ehrenrunde ziehen. Das Modell – eine Miniversion des MS Etzel – hat einen Massstab von 1 zu 25, gehört Thomas Kessler von Thomi’s Werft in Stäfa und wurde erbaut von Andreas Gasser aus Pratteln.
Die moderne Schweiz zeigen
Doch weiter auf der Rundfahrt: Nun meldete sich Walter Finkbohner, ein Landi-Experte, zu Wort. Bekannt ist er eigentlich als ehemaliger SBB-Vertreter in Italien, Direktionssekretär der damaligen SBB-Kreisdirektion, Leiter Personalverkehr und schliesslich Regionalleiter im Tessin.
Mit einer grossen Prise Humor fing Finkbohner zu erzählen an: «1934 war ein spezielles Jahr für die Schweiz. Im Norden die Nationalsozialisten, im Süden die Faschisten, und die Schweiz musste sich einen Weg suchen.» Mit der Landesausstellung habe man auch international punkten wollen. Zwar sei der Start um insgesamt drei Jahre bis 1939 verschoben worden. «Doch schliesslich war sie ein Riesenerfolg. Kein einziges Budget konnte realisiert werden, man hatte sich total verrechnet, und dies im positiven Sinn. Anstatt der prognostizierten 8 Millionen Besucherinnen und Besucher kamen 10 Millionen», erzählte Finkbohner. «Die Schweiz hatte damals 4 Millionen Einwohner, ein Drittel davon verfügte über Warmwasser.» Ein Drittel der Einnahmen der Stadt Zürich sei für Sozialwerke ausgegeben worden. Ein Viertel der Bevölkerung habe in der Landwirtschaft gearbeitet. Finkbohner: «Somit war die Schweiz zu dieser Zeit ein ganz anderes Land.» Man habe die Landi gebraucht, um eine moderne Schweiz zu zeigen, und das musste durch Innovationen geschehen.
Der Küsnachter Maschineningenieur und Aerodynamiker Jakob Ackeret konnte dank ETH und Escher Wyss einen Traum, seine technische Innovation des Verstellpropellers, realisieren. «Einige dieser Neuerungen, die die Schweiz gross gemacht haben, stammten von Escher Wyss und Brown Boveri, die auch für die Elektrifizierung der Eisenbahnen verantwortlich waren», sagte Finkbohner.
Den Spuren der Landi folgen
Zuständig für die Landesausstellung zeichneten sich der Architekt und Politiker Armin Meili als Direktor und Hans Hofmann als leitender Architekt. Die Rundfahrt führte im Seebecken entlang der Orte, wo damals die eigens errichteten Bauten standen, wie: der Pavillon für Wehrwesen (1939 brach der Zweite Weltkrieg aus), das Landi-Dörfli, die beliebte Chüechliwirtschaft, der Schifflibach und die Masten der Seilbahn. Alle diese Bauten wurden nach Ende der Ausstellung abgebaut, einige davon an einem anderen Ort wieder aufgebaut. Die Fahrt über den See kostete übrigens 30 Rappen, die Fahrt mit der Seilbahn 1.50 Franken, was damals recht viel war.
Eine Passagierin fragte, weshalb eigentlich die Seilbahn nicht erhalten worden sei. «Die Einwohnerinnen und Einwohner hatten mit einer Abstimmung erklärt, dass der Blick auf die Alpen dadurch gestört sei», so Finkbohner. Dank seiner ausgeschmückten Erzählungen ging die einstündige Fahrt viel zu rasch vorbei.
Klar ist: Die Schweizerische Landesausstellung 1939 galt als geistige Landesverteidigung der Schweiz, und das MS Etzel hat seinen Teil dazu beigetragen. Dank Spenden und regelmässigen Rundfahrten wie Racletteschiff, Gipfelischiff, 1.-August-Rundfahrt sowie Charterfahrten von Vereinen und Hochzeitsgesellschaften kann das Motorschiff weiterhin erhalten und betrieben werden.