Home Region Sport Magazin Schweiz/Ausland
Stadt Zürich
16.03.2024
25.03.2024 17:09 Uhr

Energetische Schönheitsoperation

Büros in lichtverwöhnter Lage an der Seepromenade: Die umlaufenden schrägen Auskragungen sind keine simplen Schattenspender, sondern modernste Photovoltaikelemente.
Büros in lichtverwöhnter Lage an der Seepromenade: Die umlaufenden schrägen Auskragungen sind keine simplen Schattenspender, sondern modernste Photovoltaikelemente. Bild: Allreal
Ein renommiertes dänisches Architekturbüro hat das ehemalige Elektrowatt-Gebäude beim Hafen Riesbach von Grund auf erneuert. Entstanden ist ein ökologisch modellhaftes Geschäftshaus mit beneidenswert schönen Arbeitsplätzen.

Tobias Hoffmann

Lassen wir eine Drohne steigen und schauen wir durch sie auf die Promenade am rechten Zürichseeufer. Auf der Höhe des Hafens Riesbach sticht ein grosses Gebäude mit einem ungewöhnlichen Grundriss hervor. Wie könnte man ihn nennen? Es ist so etwas wie ein verzerrtes Kreuz. Und deutlich zeichnen sich die nach oben gestaffelten Geschosse ab.

Der Gebäudekomplex liegt zwischen dem Parkgelände am See und der Bellerivestrasse. Auf der Strassenseite besitzt er eine eigene Vorfahrt mit Bushaltestelle – auch das ungewöhnlich genug. Sie heisst Elektrowatt und verweist auf die frühere Funktion des Gebäudes: Es wurde 1970 bis 1974 als Hauptsitz der Elektrowatt AG erbaut, einer Holding, die eine bedeutende Rolle in der Energiewirtschaft spielte (siehe unten).

Eine Tankanlage im Seegrund

Das Gebäude sprengte die früheren Villenmassstäbe des privilegierten Quartiers und bot Platz für 700 Mitarbeitende. Energetisch war es ein typisches Produkt seiner Zeit: Die NZZ berichtete bei der Eröffnung unter anderem über die Haustechnik und erwähnte, dass im zweiten Untergeschoss eine Tankanlage mit einem Fassungsvermögen von 500 000 Litern untergebracht sei.

Aber es dauerte lange, bis sich das energietechnische Aschenputtel zur Prinzessin wandeln durfte: Erst mit dem Auslaufen der Mietverträge und dem Wegzug des Ankermieters (Hauptmieters) PartnerRe in ein eigenes Bürogebäude beim Schiffbau im Frühjahr 2021 konnte Allreal die Chance ergreifen, das Gebäude grundlegend zu erneuern und ästhetisch wie energetisch in ein neues Zeitalter zu führen. Und nun ist der Prinzessinnenpalast bald bezugsbereit. Es sind lediglich noch einige Innenausbauten und Umgebungsarbeiten im Gange. Und das Resultat ist, das zeigt sich schon jetzt, beeindruckend.

Allreal hat über 50 Millionen Franken in den Umbau gesteckt. Damit beauftragt wurde das Architekturbüro CF Møller, ­eines der renommiertesten Dänemarks. Die Dänen haben das «ikonische Schweizer Bürogebäude», das anders zum Beispiel als die benachbarte «Pyramide» von Justus Dahinden (siehe im Bild unten rechts) nicht unter Denkmalschutz steht, in den Proportionen zwar nicht angetastet, sein Erscheinungsbild aber radikal verändert.

Die rundum verglasten Fassaden anstelle der früheren Sichtbeton- und Aluminiumelemente lassen es transparent und leicht erscheinen. Die Fensterfronten werden durch elegante Auskragungen beschattet, die gleichzeitig Solarpaneele sind. Auch auf dem Dach befinden sich Photovoltaikelemente. Aus allem zu­sammen wird eine Leistung von bis zu 600 Kilo­watt-Peak entspringen, was etwa der Leistung durchschnittlicher Photovoltaikanlagen von 60 Einfamilienhäusern entspricht.

Steuermillionen in Sicht

Die Visualisierungen des Gebäude-Innenlebens zeigen ein helles Atrium, in dem eine spiralförmige Treppe die Ebenen verbindet. Weitere Visualisierungen lassen erahnen, wie die durch den verschachtelten Charakter des Gebäudes zahlreichen Terrassen durch Begrünung zu äusserst attraktiven Aufenthaltsbereichen werden. Man muss die zukünftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter also nicht nur wegen der zweifellos grandiosen Aussicht und der parkähnlichen Umgebung, sondern auch wegen der Qualitäten der Innen- und Aussenräume beneiden.

Wer das Glück haben wird, hier arbeiten zu dürfen, gab Allreal schon im Juli 2021 bekannt, was aber wohl nur von Insidern beachtet wurde. Im Sommer darauf titelte dann der «Tages-Anzeiger»: «Volketswil verliert seinen besten Steuerzahler – an die Stadt Zürich». In der Tat: Neuer Ankermieter ist die La Prairie Group, ein namhaftes Unternehmen im Bereich der hochpreisigen Hautpflege und Kosmetik.

Der Umzug aus der Industriezone von Volketswil an den Zürichsee ist für die Firma mit Sicherheit ein Meilenstein. Luxus gesellt sich zu Luxus, möchte man sagen. Einen schöneren Hauptsitz hätte sich La Prairie kaum schnappen können. Offenbar macht er den höheren Steuersatz in Zürich wett. Laut «Tagi» gehen Volketswil Steuereinnahmen in der Grössenordnung von 5 Millionen Franken verloren. Das städtische Steueramt wollte auf Anfrage noch nicht bestätigen, dass es mit vergleichbaren Beträgen rechne.

Visualisierung des Atriums im von Grund auf erneuerten Geschäftshaus an der Bellerivestrasse 36. Bild: C.F. Moller Architects, CGI by Filippo Bolognese Images

La Prairie geht auf die Klinik gleichen Namens in Montreux zurück. Deren Gründer, der Arzt Paul Niehans (1882–1971), versuchte, mit der sogenannten Frischzellentherapie den Hautalterungsprozess zu verlangsamen. Heute ist La Prairie eine Wellness- und Gesundheitsklinik. Seit 1978 dient der Name auch einem Brand mit luxuriösen Hautpflege­linien. 1991 wurde La Prairie vom deutschen Beiersdorf-Konzern («Nivea», «Hansaplast», «tesa») übernommen. Laut dessen Geschäftsbericht für das Jahr 2022 wuchs La Prairie stark und steigerte den nominalen Umsatz von 599 Millionen auf 655 Millionen Euro.

Die Zeichen stehen also gut, dass La Prairie auch in Zukunft prosperieren und der Stadt Zürich zusätzliche Steuermillionen bescheren wird. So bald wird sich ein vergleichbarer Fall jedoch nicht wiederholen: Liegenschaften mit einem solchen Luxusappeal sind auch in Zürich rar.

Das Elektrowatt-Haus unmittelbar nach seiner Fertigstellung im Juni 1974. Bild: ETH-Bibliothek Zürich

Die «Architekturlandschaft» am See und ihre Geschichte

Alles begann 1895, in der Gründerzeit, als die berühmte AEG aus Berlin in Zürich die «Elektrobank» gründete, «um den Markt für ihre Produkte auszuweiten», wie das Historische Lexikon der Schweiz schreibt. Im Ersten Weltkrieg stieg die AEG aus, und im schwierigen Umfeld des Zweiten Weltkriegs verlegte die Bank ihre Aktivitäten auf den Ausbau der schweizerischen Alpenkraftwerke. 

1946 nahm sie den Namen «Elek­tro-Watt» an. Im Boom der Nachkriegsjahre plante und finanzierte sie riesige (Wasser-)Kraftwerkprojekte weltweit. In der Hochkonjunktur der 1960er-Jahre gleiste sie den Bau eines neuen Hauptsitzes in Zürich-­Riesbach auf. 1970 bis 1974 wurde er ausgeführt und ab Juni 1974 genutzt. Konzipiert hatte ihn der renommierte Schweizer Architekt Walther Niehus (1902–1992). Die NZZ schrieb, man könne dabei fast von einer «Architekturlandschaft» sprechen. Sie schichtete sich über zwei riesige, im extrem schwierigen Baugrund des aufgeschütteten Landes versenkte Untergeschosse.

1998 wurde die Elektrowatt, die eng mit der Credit Suisse verbunden war, in eine Energie- und eine Industrieholding aufgeteilt. Der Industrieteil wurde als Siemens Building Technologies in den Mutterkonzern Siemens eingegliedert. 2004 verkaufte die Siemens das Gebäude an die im Immobiliensektor tätige Allreal-Gruppe. Als Ankermieter besetzte der Schweizer Hauptsitz des international tätigen Rückversicherers PartnerRe viele Jahr lang rund die Hälfte der Büros. (toh.)

Tobias Hoffmann