Simon Gredig, Sie sind einer der vielen jungen Leute, die aus der ganzen Deutschschweiz nach Zürich kamen, um hier zu studieren. Warum gerade Zürich?
Ganz klar: Wegen der ETH Zürich. Ich habe zwar bald gemerkt, dass Zürich viel mehr zu bieten hat als nur eine gute Hochschule. Aber ausschlaggebend für meinen Entscheid war die ETH.
Und wie wurden Sie so aufgenommen als Bündner in Zürich? Man sagt ja, Zürich sei die grösste Stadt Graubündens ...
Sehr gut. Nach einem kurzen Intermezzo in einer reinen Bündner WG lernte ich in der Folge Freundinnen und Freunde aus der ganzen Schweiz kennen. In meinem Studiengang Umweltnaturwissenschaften waren Studierende von Genf bis Vnà anzutreffen – wir waren also eine sehr gemischte, aber auch sehr eng verbundene Gemeinschaft. In diesem Umfeld habe ich mich in Zürich immer sehr wohlgefühlt.
Was sind die grössten Unterschiede zwischen Zürich und Chur?
Vor einigen Jahren hätte ich vermutlich gesagt: Chur ist Provinz und Zürich ist City. Nachdem ich aber inzwischen wieder seit fast vier Jahren in Chur lebe, muss ich sagen: Auch Chur wird urbaner. Natürlich ist der grösste Unterschied nach wie vor, wie viel mehr in Zürich «läuft» – sei es kulturell, auf den Strassen, wirtschaftlich, gesellschaftlich. Die grosse Chance für eine mittelgrosse Stadt wie Chur ist aber, dass immer wieder Menschen aus Zürich und anderen Schweizer Städten hierherziehen. All diese Menschen bringen ihre Erfahrungen und ihre Ideen mit nach Chur. Und so gibt es plötzlich auch in Chur guten Kaffee, coole Festivals und immer mehr Velofahrende.
Nach dem Studium waren Sie eine Zeit lang Geschäftsleiter einer Privatschule am Hönggerberg. Wie haben Sie da
Zürich als Wirtschaftsmetropole erlebt?
Das war eindrücklich: Allein das Schulgeld könnten sich vermutlich in Chur nur die allerwenigsten Familien leisten. Aus diesem Grund wäre das Modell auch nicht eins zu eins hierher zu übertragen. Allerdings gehen von Privatschulen wichtige Impulse aus in Bezug auf die Weiterentwicklung des Schulsystems. So zum Beispiel in Bezug auf altersdurchmischte Klassen, Unterricht in der Natur und selbstorganisiertes Lernen.
Und wie Zürich als 450 000-Einwohner-Stadt mit alteingesessenen Einwohnern/ -innen und vielen Zugezogenen?
Das macht die Stadt Zürich für mich so spannend. Wenn man in Zürich studiert oder beruflich tätig ist, merkt man plötzlich, dass man bei weitem nicht der einzige Zugezogene ist. Im Gegenteil: Der Grossteil der Menschen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, waren ebenfalls keine «Ur-Zürcherinnen» und «Ur-Zürcher». Von daher ist man oftmals schon fast überrascht, wenn jemand noch lupenreines Züritüütsch spricht.
Wie ist Ihre (kurze) Einschätzung von Zürichs Politleben?
Wählen in Zürich hat mir immer grosse Freude bereitet: Man kann aus so vielen Listen und Kandidierenden auswählen – für einen interessierten Politbeobachter wie mich eine wahre Freude. Umgekehrt bin ich auch etwas ernüchtert: Trotz klarer Mehrheitsverhältnisse für das progressive Lager schaffen es Stadt- und Gemeinderat nicht, die Stadt sicht- und spürbar den veränderten Bedürfnissen unserer Zeit anzupassen. Mit kleinen Kindern auf dem Velo durch Zürich zu fahren, ist nach wie vor beängstigend. Das sollte doch möglich sein.