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Kultur
29.05.2024
23.05.2024 14:13 Uhr

Lily Claire singt über die Schönheit überwundener Ängste

Vom Ersparten als Babysitterin hat sich die Musikerin Lily Claire einst ihre erste Gitarre gekauft.
Vom Ersparten als Babysitterin hat sich die Musikerin Lily Claire einst ihre erste Gitarre gekauft. Bild: Elias Martin
Lily Claire lebt in Zürich und bringt mit ihren raffinierten, französisch gesungenen Indie-Chansons eine wunderbare Lebensfreude mit – auch dann, wenn es um ernstere Themen geht. Im Interview spricht sie über ihre Wurzeln, ihre neue Single und ihre Zukunftspläne.

Patrick Holenstein

Lily Claire, du singst französisch, in deiner Muttersprache. War für dich immer klar, dass du französisch singen willst?
Ab dem Punkt, wo ich mit meiner eigenen Musik begonnen habe, war es für mich klar. Anfangs habe ich schon aber Covers gesungen, die oft in Englisch waren. Dadurch, dass ich gerne über Liebe singe und melancholische Lieder sehr mag, hat die französische Sprache gut gepasst und es fühlt sich für mich sehr natürlich an.

Bist du schon als Kind mit französischer Musik in Berührung gekommen?
Meine Eltern haben sehr viel französische Musik gehört. Etwa France Gall oderVanessa Paradis. Beide sind für mich eine Inspiration.

Du bist in Zürich geboren und lebst in der Stadt. Du hast zudem Wurzeln in Paris. Daher kennst du beide Länder. Erkennst du Einflüsse der jeweiligen Mentalitäten in deinen Songs?
Wir waren früher oft in Paris und auch in der Bretagne. In meinen Liedern spüre ich oft die Leichtigkeit der Bretagne mit dem Strand, dem Wind oder dem späten  Schlafengehen. In der Schweiz ist man etwas zurückhaltender. Daher ist schon  eher der französische Touch stärker in den Liedern.

Wie bist du zum Singen und zur Gitarre gekommen?
Singen war immer schon eine Leidenschaft, schon als Kind habe ich sehr gerne gesungen. Später habe ich Saxofon gelernt. Wenn man zur Musik singen will, ist eine Gitarre aber praktischer. Damals habe ich viel als Babysitter gejobbt und vom Ersparten meine erste Gitarre gekauft. Das war ein grosser Moment für mich. So habe ich mit Youtube-Filmen angefangen, das Spielen zu üben.

Bis du erste Songs veröffentlicht hast, ist etwas Zeit vergangen. War das ein Prozess für dich?
Genau, es war ein Prozess für mich. Wie gesagt, der Kauf der Gitarre war der Anfang, danach kam das Üben. Irgendwann gab es Instagram, wo es möglich wurde, 15 Sekunden lange Clips hochzuladen. Es war ein stetiger Prozess, durch den mich irgendwann Benjamin Amaru (Schweizer Musik, Anm. d. Red.) gefunden hat. So kam alles ins Rollen.

Die letzte EP «Fleur Fanee», die in diesem Jahr erschienen ist, dreht sich um die Lebenszeit eines Menschen. Das klingt nach einem Konzept. War dir von Anfang an klar, wohin die Reise führt, oder hat sich die EP langsam so entwickelt?
Das hat sich natürlich entwickelt. Ich habe begonnen, neue Songs zu schreiben. Dabei war ich inspiriert von meinerArbeit als Kleinkindererzieherin und von Kindern, die grosse Träume haben und alles um sich herum schön finden. Gleichzeitig hatte ich viele Gespräche mit älteren Menschen, die schon eher im Herbst des Lebens stehen und zurückblicken.

So ein Thema könnte sehr schwermütig sein. Du legst deine Songs aber nicht unbedingt melancholisch an, sondern gibst ihnen Lebensfreude. Wie bewusst nutzt du diese Gegensätze?
Ich denke, das ist, was ich in meinenLiedern gerne präsentieren möchte. Dass der Tod oder das Ende des Lebens bzw. das Altsein nichts Schlechtes, sondern etwas unglaublich Schönes ist. Wenn man alt werden darf, Kinder oder Enkel undFamilie hat oder Freunde findet, die einen durch das Leben begleiten und mit denen man schöne Erfahrungen machen darf. Ich denke nicht, dass es Gegensätze sein müssen, sowohl Jungsein als auch Altsein haben etwas unglaublich Schönes.

Im Song «Fleur» greifst du das Bild der «Fleur Fanee» auf, die für die Lebenszeit steht. Wovon erzählt der Song?
Das Lied erzählt von einer älteren Person, die der jüngeren rät, im Jetzt zu leben, und dabei ihre eigenen verpassten Chancen bedauert. Trotz der Melancholie beschreibt die junge Person die ältere als wunderschön und lebensreich, während die Melodie eine bittersüsse, erfrischende Note trägt.

Ende Mai ist die Single «Flamme» erschienen. Im Clip zum Song läufst du durch eine Stadt, scheinst etwas zu suchen. Um was geht es in «Flamme» bzw. im Clip?
Im Lied «Flamme» geht es um die Schönheit von überwundenen Ängsten, die man im Leben hat. Wie du sagst, laufe ich im Video durch eine Stadt, die mir völlig neu ist. Es ist Marseille, wo ich zuvor noch nie war. Der Clip symbolisiert die Angst vor dem Unbekannten, einfach loszu­lassen, wegzugehen und etwas Neues anzufangen. Um dieses Thema dreht sich das Video. Gleichzeitig ist wichtig, dass alle selbst das Video interpretieren dürfen und die Stimmung sowie die Melodie für sich aufnehmen können.

Ist «Flamme» ein Vorbote auf eine neue EP?
Das wäre sehr schön. Da sind wir uns noch nicht sicher.

Arbeitest du an neuem Material?
Ja, ich bin natürlich fleissig dabei, Songs zu schreiben und aufzunehmen. Ich habe auch schon eine vage Idee.

Man kann über dich lesen, dass du dir bewusst Auszeiten nimmst, wenn mal sehr viel los ist bei dir. Hast du in solchen Momenten spezielle Orte, vielleicht in Zürich, an die du dich zurückziehst?
Ich bin sehr gerne dort, wo wenig Leute sind. Das kann bei mir oder bei einer Freundin zu Hause sein. Wenn ich rausgehe, bin ich gerne im Wald. Spezifische Plätze habe ich nicht, aber am liebsten sind mir Orte, wo nicht zu viele Leute, Lärm oder Eindrücke sind.

Was hast du dieses Jahr noch geplant?
Wir haben das Glück, dass wir noch ein paar Konzerte spielen dürfen. Etwa am 21. August in der Barfussbar. Und natürlich will ich schöne, neue Lieder schreiben.

Dieses Interview entstand in Zusammenarbeit mit dem Zürcher Online-Kultur-Magazin Bäckstage.ch

Patrick Holenstein