Ein Faktor der viel gepriesenen Work-Life-Balance ist bestimmt die Selbstversorgung. Die Stadtmenschen versorgen sich hauptsächlich bei Grossverteilern, weils bequem ist und auch weil die Zeit, der Ort und die Kapazität zum Selberpflanzen fehlen. Die Kinder kommen somit immer seltener in direkten Kontakt mit der Natur und ernähren sich dementsprechend oft ungesund.
Der Verein Acker Schweiz – eine gemeinnützige Organisation – hat es sich zum Ziel gemacht, die Wertschätzung für Natur und Lebensmittel bei Kindern und Jugendlichen zu fördern. Dafür bietet Acker Schweiz für Kinder von 3 bis 12 Jahren die Bildungsprogramme «AckerRacker» und «GemüseAckerdemie» an. Der Verein hilft zudem den Pädagoginnen und Pädagogen an Schulen, Kindergärten und Kitas bei der Einrichtung eines ökologisch bewirtschafteten Ackers.
7000 Kinder machen mit
Letizia Rizzi, studierte Umweltingenieurin, ist für das Bildungsprogramm von Acker Schweiz verantwortlich und zugleich Teamleiterin des Operativen. «Mehr als 7000 Kinder und Jugendliche an aktuell über 60 Kitas, Kindergärten und Schulen in der Deutschschweiz haben mit Unterstützung von Acker Schweiz seit 2017 ihr eigenes Gemüse angebaut», erzählte sie bei unserem Besuch im Schulhaus Im Lee in Wollishofen. Wie sich der Verein denn finanziere? Die Schule zahle jeweils ein Teil der Investitionen. Zwei Drittel würden durch Fundraising, Spenden und Fördergelder generiert.
Wetter? Egal!
Ausgerechnet am ersten Pflanztag dieses Frühlings schüttete es wie aus Kübeln, was die Kids in keine Weise störte. Kinder spielen bekanntlich gern in Schlamm und Dreck, ungeachtet der Kleidung. Und das ist gut so.
Heute gehörte der Tag der ersten Klasse mit 21 Schülerinnen und Schülern. Im Klassenzimmer begann der Pflanztag zuerst mit Aufwärmen – einem Spiel für Schnelligkeit und Platzwechsel. Die Kinder sassen im Kreis, jedes vertrat ein Gemüse. Ein Gemüse wurde aufgerufen und alle suchten einen neuen Stuhl, ganz wie in «Reise nach Jerusalem». Anschliessend wurden sie aufgefordert, sich wie ein x-beliebiges Tier im Garten – sei es Wurm, Käfer, Igel etc. – zu bewegen.
Gemüse erraten
Dann kam der eher theoretische Teil. Anna Heijkoop, Acker-Coach, erklärte den Unterschied zwischen Setzlingen und Samen. «Das Saatgut, die Samen, wird als Erstes gepflanzt, dann folgen die Setzlinge und später die Zwiebel- und Knollengemüse», führte sie aus. Zuletzt mussten die Kids erraten, um welche Gemüsesorte es sich bei den von ihr präsentierten handelte. Es war erstaunlich, wie die Mädchen und Buben an ihren Lippen hingen. Und es war offensichtlich, dass sie voll bei der Sache waren und dass es ihnen Spass machte.
Auch Geräte gehören dazu
Als weitere Trockenübung wurden die Gartengeräte und ihre Funktionen vorgestellt, eins nach dem anderen: Grabgabel zum Umstechen, Spaten zum Wenden, Harke zum Rechen von Erde, Laubrechen, Häckerli und Schüfeli. Wobei auch die entsprechende Haltung und Bewegung beim Anwenden gelehrt wurde. Nach einer kurzen Pause gings ins Freie. Ein Teil des grossen Ackerlandes hinter dem Schulhaus Im Lee ist speziell für die Acker-Kids reserviert. Es sind zwei lange Bahnen, die jeweils nochmals in zwei Bahnen eingeteilt werden mussten, damit man ungeniert zwischen diesen hin und her gehen kann. Das war heute die Aufgabe.
Einige Kinder teilten das Beet mithilfe einer Schnur und eines Massbands. Die anderen mühten sich mit Ausstechen von Unkraut ab, das in diesem Regenwetter ganz vortrefflich gediehen war. Auf die Frage, ob Dünger eingesetzt werde, antwortete Letizia Rizzi: «Wir setzen Mulch dafür ein. Mulchen bedeutet das Bedecken des Bodens mit unverrotteten organischen Materialien. Mulchen ist ein wichtiger Beitrag zur langfristigen Bodenfruchtbarkeit.»
Essen oder heimnehmen
Erwähnenswert sind die Highlights des Bepflanzens für die Kids und ihre Eltern: Der Ertrag darf mit nach Hause genommen oder direkt vor Ort verzehrt werden. Aus vielen Gemüsen werden im hauseigenen Ofen Chips zubereitet. Als Saisonabschluss wird jeweils eine Kürbissuppe gekocht und die Eltern werden zum Essen eingeladen, damit sie sehen, was ihr Nachwuchs geleistet hat, und sie auf ihre Kids stolz sein können.
Wissen als Ernährungsbasis
Bei der «GemüseAckerdemie» sollen die Kinder nicht nur lernen, wie Gemüse angebaut wird, sondern auch den Wert der Natur als Lebensgrundlage erkennen. Damit soll im Endeffekt erreicht werden, dass eine ausgewogene Ernährung für möglichst viele Menschen zur Selbstverständlichkeit wird.