Tobias Hoffmann
Zürichhorn, Sommer 1939. Die Landesausstellung ist in vollem Gang, und es zeichnet sich bereits deutlich ab, dass sie zur erfolgreichsten, zuschauerstärksten Veranstaltung werden wird, die die Schweiz jemals gesehen hat. Zu den vielen temporären Bauten der Landi zählt der Trachtenhof, das Haus der schweizerischen Trachtenvereinigung am Zürichhorn auf Höhe der Heimatstrasse. «Die Tracht ist das Kleid der Heimat», steht auf einer Seitenwand geschrieben; zwischen die Wörter sind Blumengirlanden gesetzt, darüber paradieren drei geschmückte Kühe im Gleichschritt. Aus heutiger Sicht mag das purer Folklorekitsch sein. Doch dieser hat einen ernsten Hintergrund: Krieg liegt in der Luft, die Schweiz ist von faschistischen Mächten umgeben, die deutsche Propaganda versucht seit Jahren, die Schweizer Öffentlichkeit zu infiltrieren. Mit der sogenannten Geistigen Landesverteidigung hat sich eine bundesrätlich proklamierte Gegenpropaganda etabliert, die darauf abzielt, die eidgenössische Identität der Schweizerinnen und Schweizer zu stärken und die Rückbesinnung auf die eigenen kulturellen und politischen Werte zu fördern.
Weg von Dirndl und Verleihkostüm
Die «Landi» 1939 war die mächtigste Manifestation der Geistigen Landesverteidigung, und eine ihrer grössten Veranstaltungen war das Eidgenössische Trachtenfest am Wochenende des 19./20. August. Wie die NZZ auf zwei ganzen Seiten berichtete, waren zwei Umzüge mitten in der Stadt anberaumt, am Samstagnachmittag und am Sonntagvormittag. Bei schönstem Sommerwetter zogen 27 Gruppen an einem Publikum vorüber, das gemäss Einschätzung des Berichterstatters möglicherweise die Marke von 200 000 überschritt. Verschiedenste Aspekte bäuerlicher Kultur kamen zur Darstellung, vom Alpaufzug über die Chilbi bis zur Bauernhochzeit. «In allen Landessprachen wurden Lieder angestimmt», schrieb die NZZ, «Jodler und Jauchzer klangen zu einem wahren Festjubel zusammen.» Ländlermusiken und Handorgelgruppen, Trommler und Pfeifer, Jugendorchester und Marschkapellen lösten einander ab, eingeschoben wurden Tanz- und Reigenspiele. Doch bei den beiden Umzügen blieb es nicht: In der Landi-Festhalle wurden drei bombastische Trachtenaufführungen mit Tausenden von Teilnehmerinnen und Teilnehmern gegeben.
Der Grossanlass war jedoch keine Folkloreorgie, sondern ging auf ernsthafte Bemühungen der Trachtenvereinigung zurück: Sie wollte die früheren Fehlentwicklungen mit Dirndlkostümen und «undefinierbaren Schweizer Trachten aus dem Verleihgeschäft» korrigieren. So zumindest stellte es Hans Rudolf Schmid (1902–1992) dar, der Pressechef der Landi, der in verschiedenen Medien ein Grusswort zum Fest publizierte. Es ging also darum, zu den realen Wurzeln der regionalen Trachten und zu einer authentischen Darstellung bäuerlicher Kultur zurückzufinden.