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Zürich Nord
27.06.2024
04.08.2024 19:26 Uhr

Autobahn-Einhausung: Nach dem Bauende ist vor dem Baustart

Ist die Einhausung für die Anwohnerinnen und Anwohner Segen und Fluch zugleich? Nach dem jahrelangen (Nacht)Baulärm folgen nun die Häuserabrisse und die Neubauten in der Umgebung – also nochmals Lärm und Unruhe. Zudem werden die neuen Wohnungen erfahrungsgemäss teurer, was sich längst nicht alle Schwamendingerinnen und Schwamendinger leisten können.
Ist die Einhausung für die Anwohnerinnen und Anwohner Segen und Fluch zugleich? Nach dem jahrelangen (Nacht)Baulärm folgen nun die Häuserabrisse und die Neubauten in der Umgebung – also nochmals Lärm und Unruhe. Zudem werden die neuen Wohnungen erfahrungsgemäss teurer, was sich längst nicht alle Schwamendingerinnen und Schwamendinger leisten können. Bild: Lorenz Steinmann/Zürich24
Die Autobahn-Einhausung in Schwamendingen wird Ende August definitiv in Betrieb genommen. Das bedeutet aber nicht das Ende von Lärm und Gestank. Nun bauen Genossenschaften und Private ihre Siedlungen neu.

Pia Meier

Die Einhausung Schwamendingen ist bald fertigerstellt. Mitte August werden die Anlagen gemäss Bundesamt für Strassen (Astra) während mehrerer Nächte nochmals gründlich durchgecheckt und getestet, worauf die Einhausung Schwamendingen Ende August definitiv dem ­Betrieb übergeben werden kann. Der sogenannte Ueberlandpark auf dem Autobahndeckel soll ab Mai 2025 offen sein. Oberhalb der Autobahn wird man dann gemütlich spazieren, spielen, Velo fahren und sich treffen können. «Es ist eine grosse Erleichterung bei den Betroffenen spürbar, da die Verkehrswege wie die Saatlenunterführung und die Zugänge zur Haltestelle Ueberlandpark wieder ohne Umwege zugänglich sind», urteilt Thomas Lohmann, Präsident der Baugenossenschaft Glattal und Vorstandsmitglied der IG pro Zürich 12. «Die nächste Freude dürfte dann die Eröffnung des Ueberlandparks sein.»

Sich der neuen Situation anpassen

Doch nicht für alle Betroffenen sind das Freudentage. Denn gemäss Experten steigen die Mietzinse mit der Erneuerung um mindestens etwa einen Drittel. Die «Wochenzeitung» (WoZ) beschrieb in einem Artikel, dass die geplanten Neubauten einen regelrechten Kahlschlag für die bisherige Mieterschaft bedeute. Doch der Reihe nach: Die Grundstücke entlang der Einhausung gehören nebst der Bau­genossenschaft Glattal beispielsweise den Baugenossenschaften Süd-Ost und Luegisland, der Arbeitersiedlungsgenossenschaft (Asig), der Baugenossenschaft Bahoge und der gemeinnützigen AG Habitat 8000 sowie den von der WoZ vor allem ­zitierten Privaten. Alle haben mit den Planungsarbeiten für ihre Neubauten längst begonnen. «In einem längeren Prozess, der noch bis zu einem Jahrzehnt an­dauern wird, werden die benachbarten Parzellen den neuen Ueberlandpark integrieren und die Auflagen zum Städtebau umsetzen», erläutert Lohmann. Immerhin geschehe das rund um die Ein­hausung nicht im stillen Kämmerlein, sondern via IG pro Zürich 12, einen Zusammenschluss der Genossenschaften. Links und rechts des Ueberlandparks werde in den nächsten 12 bis 15 Jahren viel gebaut. «In dieser Zeit haben sich alle immer wieder der neuen Situation anzupassen», so Lohmann. Mittel- bis langfristig entsteht in Schwamendingen ein neues Quartier «Leben am Ueberlandpark».
Für die IG pro Zürich 12 war und ist die Einhausung ein Schwerpunkt. Geht ihr nun die Arbeit aus? «Die IG wird auch in Zukunft mit dem Ueberlandpark beschäftigt sein, mindestens bis dieser in der Bevölkerung etabliert und einvernommen worden ist», hält Walter Oertle, Geschäftsführer der IG pro Zürich 12, fest. «Auch wird der Unterhalt wahrscheinlich anzupassen sein und die Situation der öffent­lichen WCs oder besser gesagt des öffentlichen WCs genau zu beobachten sein.»

  • Symbolisch: Entlang der Einhausung wird viel abgerissen. Bild: ls./ Archiv
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  • Viel ruhiger als früher. Doch die Tage dieser Bauten sind gezählt. Bild: ls./ Archiv
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  • Auf dem Deckel gibt es einen Park. Eröffnung ist aber erst im Mai 2025. Bild: ls./ Archiv
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  • Auch bei dieser Genossenschaften gibt es bauliche Anpassungen. Bild: ls./ Archiv
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  • Oft sind die Bauprojekte schon ausgesteckt. Bild: ls./ Archiv
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  • Geschmacksache sind die Aufbauten auf dem Deckel. Bild: Lorenz Steinmann/Zürich24
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Start bei der «Süd-Ost»

19 Liegenschaften mussten für die Einhausung weichen. Hinzu kamen 26 weitere Gebäude, die auf Wunsch der Eigentümerschaft abgerissen wurden. Diese werden nun durch Neubauten durch Genossenschaften und Private in den nächsten 15 bis 20 Jahren ersetzt. Obwohl alle Genossenschaften in den Startlöchern sind, wird wahrscheinlich die «Süd-Ost» die erste sein bei der Erneuerung.

«Ab ca. 2025 wird die Siedlung Tulpenweg mit insgesamt 163 Wohnungen errichtet», hält die Baugenossenschaft ­Süd-Ost auf Anfrage fest. Diese soll ein «wegweisendes Projekt mit bezahlbarem Wohnraum und grosszügigen Frei­flächen» werden. Wege und Brücken ­sollen das Wohngebiet mit dem Ueberlandpark verbinden. «Speziell zu erwähnen sind ausserdem der entstehende Tulpenplatz und der Tulpenpark», betont die Genossenschaft. Die Siedlung befindet sich stadtauswärts rechts nach dem ehemaligen Tunnelportal.

Dann die «Glattal»

Nicht ganz so schnell wie geplant ist die Baugenossenschaft Glattal (BGZ). Unmittelbar neben der Einhausung wird das Projekt Neuwiesen realisiert. «Der Baustart hat sich verzögert und erfolgt voraussichtlich im Jahr 2025 statt 2024», teilt die «Glattal» mit. Durch die entstehende Einhausung der Autobahn verändere sich die räumliche, qualitative und baurechtliche Situation für die Liegenschaften Neuwiesen I bis III stark. «Neben der Gartenstadtebene wird mit dem um acht Meter erhöhten Ueberlandpark eine zweite Begegnungsebene geschaffen.» Diese Ersatzneubauten sind das erste reine Holzbauprojekt der BGZ. Zudem will man den alten Baumbestand möglichst erhalten. Beim Projekt arbeitet man mit der Bau­genossenschaft Luegisland zusammen, die ebenfalls Eigentümerin von Liegenschaften entlang der Einhausung ist.

Die Asig zieht nach

Die Baugenossenschaft Asig hat gleich mehrere Areale entlang der Einhausung Schwamendingen. Bis 2035 entsteht im heute spürbar heruntergekommenen Dreispitz ein kleines Stadtquartier. Zusammen mit dem Ueberlandpark erhält das Gebiet also ein völlig neues Gesicht. Auslöser war damals unter anderem die geplante Einhausung. «Insgesamt sollen im Dreispitz-Areal bis in zehn Jahren bis zu 900 neue Wohnungen entstehen. Dies entspricht einer Verdoppelung des Wohnraums», so die Asig. Die Erneuerung des Quartiers soll in vier Etappen erfolgen. Die erste Etappe der Neugestaltung beinhaltet das aktuell ausgesteckte Hochhaus «Top 12», die beiden benachbarten Gebäude entlang der Wallisellenstrasse, die sogenannten Saatlen-Terrassen sowie den ersten Teil des Saatlenparks. Das Hochhaus soll laut Eigenangaben «ein neues, urbanes Wahrzeichen der Asig» werden.

Die zweite Etappe entlang der Autobahneinhausung ist ab 2026 geplant, die dritte Etappe umfasst den inneren Teil des Dreispitzes und ist ab 2028 vorgesehen, während die bei der Saatlenkirche gelegenen Häuser entlang der Wallisellenstrasse den Abschluss ab 2031 bilden.
Mit der Asig zusammen entwickelt die Wohnbaugenossenschaft Habitat 8000 das Areal entlang der Einhausung. Der Auftakt zu dieser gemeinsamen Entwicklungsplanung erfolgte 2020 mit einer Machbarkeitsstudie und im November 2021 mit der Lancierung des zweistufigen Studienauftrags. Mit dem Rückbau der bestehenden Liegenschaften ist frühestens ab Herbst 2026 zu rechnen.

Verdrängung verhindern

Kürzlich wurde in Schwamendingen für bezahlbare Wohnungen und gegen die Verdrängung von Bewohnenden protestiert. Kommt es mit den zahlreichen Neubauten zu einer Gentrifizierung? «Mindestens bei den Genossenschaften wird darauf geachtet, dass keine Gentrifizierung entsteht. Die Genossenschaften unterstützen sich gegenseitig mit temporären Wohnungsangeboten. Dies sollte im Spätsommer/Herbst aktiv anlaufen», ist Oertle überzeugt. Auch Lohmann findet: «Heute gehen die sechs Anrainergenossenschaften davon aus, dass wir zusammen die unmittelbare Verdrängung aus Schwamendingen mit adäquaten Ersatzangeboten verhindern werden.» Die sozial nachhaltige Entwicklung werde aktiv gefördert. «Wir erarbeiten aktuell frei­willig auch ein Monitoringsystem unter allen Anrainergenossenschaften, damit wir die notwendigen Umsiedlungen messen und allenfalls Gegensteuer geben können.» Das Monitoring werde in geeigneten Abständen auch auf der IG-Website publiziert (ab Sommer/Herbst), sobald die Basisdaten fertig erhoben seien.

Die Garantie zum Verbleib in Schwamendingen während dieser rund zehnjährigen Entwicklungsphase bezieht sich explizit auf ganz Schwamendingen. Der reine Einhausungsparameter sei zu eng, um während der einzelnen Arealumbauphasen allen ein Ersatzangebot direkt am Ueberlandpark machen zu können. Und: «Mit der Verdichtung und dem Mehrangebot von Wohnraum können wir vermutlich auch weiteren Bevölkerungskreisen (ausserhalb der Genossenschaften) einen bezahlbaren Verbleib in Schwamendingen ermöglichen», betont Lohmann.

Zurück zur Einhausung. Während die Autobahn im August zur Normalität zurückkehrt, muss man sich auf dem Dach noch gedulden. Der Ueberlandpark bleibt bis Mai 2025 geschlossen. Erst dann sei die Natur so weit – und die Pavillons vermietet, wie es von der Stadt auf Anfrage heisst.

Pia Meier/Zürich24