Tobias Hoffmann
Zürich, die Stadt des Geldes, hat sich keine Banken-, sondern eine Bildungskrone gegeben. Die sogenannte Stadtkrone über der Altstadt, eine Akropolis des Wissens, die aus den Hauptgebäuden der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) und der Universität (UZH) besteht, ist ein starkes Symbol dafür, dass Bildung und Forschung zu den wichtigsten Ressourcen der Schweiz zählen.
Rund um die Hauptgebäude gibt es etliche weitere Bauten, die eigens für die Zwecke der Hochschulen errichtet wurden und die, zusammen mit den Bauten des Universitätsspitals (USZ), den Charakter des Quartiers prägen. Doch dieses ist im Norden, Osten und Süden in die Wohngebiete von Oberstrass, Fluntern und Hottingen eingebettet, Gebiete mit überwiegend gehobenen Wohnungen, viele davon in historischen Liegenschaften von oft villenhaftem Charakter. Und das hat für diese Wohngebiete seit rund sechzig Jahren negative Konsequenzen.
Reine Wohnstrasse? Fehlanzeige!
Manchmal reichen ein paar wenige Schritte, um das festzustellen. Wer zum Beispiel von der ETH Zentrum kommend die Sonneggstrasse nimmt und ein paar hundert Meter weiter in die Scheuchzerstrasse einbiegt – eine reine Wohnstrasse, möchte man meinen –, trifft mit der Nummer 7 sofort ein zweckentfremdetes Mehrfamilienhaus an, das vom Risk Center der ETH besetzt ist. Drei Häuser weiter, wo die Turnerstrasse abzweigt, steht ein weiteres Wohnhaus (siehe Bild rechts oben), das von der ETH belegt wird. Wieder ein paar Häuser weiter an der Scheuchzerstrasse 21 ist in einem Wohnhaus das Institut für Vergleichende Sprachwissenschaft der UZH einquartiert.
Auf der anderen Seite des Hochschulgebiets, in Hottingen, sind reihenweise Herrenhäuser von der UZH belegt, gleich vier davon hoch über der Rämistrasse bei der Kurve an der alten Kantonsschule, eine weitere Gruppe von Häusern an der Platten- und der Pestalozzistrasse. Hier haben einige Institute der Geisteswissenschaften Platz gefunden, als eines der bekanntesten das Englische Seminar in der Villa Wehrli an der Plattenstrasse 47. Auch wenn das Gebäude ziemlich verlottert ist, gibt es böse Zungen, die behaupten, dass sich die Anglisten nur über Shakespeares Leiche aus diesem Hause ausquartieren lassen würden.
Invasion der Wohnquartiere
Aber warum ist das so? 1933, hundert Jahre nach ihrer Gründung, zählte die Universität rund 2000 Studierende. 1956, als die Hochkonjunktur sich zu akzentuieren begann, waren es immer noch erst etwa 2400, 1967 jedoch dann bereits 7400 – eine Verdreifachung in gut zehn Jahren. Da der Bau neuer Institutsgebäude nicht so rasch erfolgen konnte, wie es nötig gewesen wäre, wichen die Hochschulen und auch das USZ in die umgebenden Strassen aus. Zahlreiche Wohnhäuser wurden zu Institutsgebäuden und Büros umgewandelt.
Aber es folgten auch zwei grosse Befreiungsschläge: Bereits in den 1960er-Jahren begann der Aufbau des ETH-Standorts Hönggerberg. Ab 1973 wurde die Universität Irchel für die UZH erbaut, 1979 konnte sie eröffnet werden. Die Naturwissenschaften mit ihren zahlreichen Laborgebäuden erhielten einen eigenen Campus. Die Platzverhältnisse aber blieben prekär, da sich die Studierendenzahlen weiter rasant entwickelten. Dieses Jahr sind sie bei rund 28'000 (UZH) und 25'000 (ETH) angelangt. Die Zweckentfremdung Dutzender Wohnhäuser wurde beibehalten.
Verdichtung im Hochschulgebiet
2005 mündeten die Anstrengungen der Behörden auf Bundes-, kantonaler und städtischer Ebene in einem Masterplan für das Hochschulgebiet. Nach Evaluation verschiedener Strategien entschied man sich, die Konzentration der drei Institutionen im Zentrum von Zürich beizubehalten und die Nutzungsanforderungen durch eine gezielte Verdichtung zu erfüllen. In der umfassend überarbeiteten Fassung von 2014 heisst es: «Der vorliegende Masterplan ermöglicht die Entwicklung der drei Institutionen an diesem gemeinsamen zentralen Standort. Er legt eine fundierte Grundlage dafür, dass der Wissens- und Gesundheitscluster mit Lehre, Forschung und medizinischer Versorgung an einem Ort gesichert und weiter gestärkt wird.»
Diese Form von innerer Verdichtung war mit der Idee verbunden, die auf viele Standorte verteilten Institute zusammenzuführen. Die räumliche soll auch eine geistige Zusammenführung zur Folge haben und die in der modernen Wissenschaft immer mehr an Bedeutung gewinnende Interdisziplinarität fördern.
Wohnpolitischer Kampf gegen Zweckentfremdungen
Die Stadt Zürich hatte sich bereits in den 1970er-Jahren aus wohnpolitischen Gründen gegen die fortschreitende Zweckentfremdung von Wohnraum zu wehren begonnen; 1977 erreichte sie die Einführung von Sonderbauvorschriften, die die umgebenden Wohnquartiere schützen sollten. Wie man im Masterplan 2014 lesen kann, wurde das «darin definierte Konzept der Wohnraumrückführung [...] 2007 in den kantonalen Richtplan aufgenommen».
Das erste Ergebnis dieses Konzepts war ein Vertrag zwischen der Eidgenossenschaft und der ETH einerseits und der Stadt andererseits «betreffend Wohnraumrückführung im Hochschulquartier». Damit verpflichtete sich die ETH Zürich, zweckentfremdeten Wohnraum im Umfang von 7630 m2 (4630 m2 in bundeseigenen Liegenschaften und 3000 m2 in Mietliegenschaften) zurückzuführen.
Über den Stand dieses Prozesses befragt, antwortet Jantje Sammtleben von der Abteilung Immobilien der ETH, die Ziele im Zusammenhang mit Mietliegenschaften habe die ETH schon im Jahr 2017 erreicht und übertroffen. In Bezug auf die bundeseigenen Liegenschaften würden, so Sammtleben, aktuell die letzten fünf veräussert, «mit der Auflage zur Wohnraumrückführung durch den Erwerber». «Die Verkäufe», hält sie fest, «werden bis Anfang 2025 abgeschlossen und damit der Vertrag mit der Stadt Zürich erfüllt sein.»
Ob das schöne Gebäude an der Turnerstrasse 1 auch darunterfällt? In einem Bericht von 2018 an die Stadt schrieb die ETH, die Rückführung von Liegenschaften an der Turnerstrasse und an der Voltastrasse werde geprüft. Auf eine diesbezügliche Nachfrage will oder kann Sammtleben keine Antwort geben. «Über die einzelnen Objekte geben wir mit Verweis auf den Datenschutz von Käufern/Vermietern keine Auskunft», schreibt sie.
Neue Hochschulbauten in Planung
2018 schloss die Stadt dann auch mit Vertretern von Kanton, UZH und USZ einen Vertrag betreffend «Schaffung von Wohnraum in Liegenschaften von Kanton /UZH /USZ» ab. Darin ist festgehalten, dass die Verpflichtung zur Rückführung von Wohnliegenschaften frühestens dann gelte, «wenn im Perimeter Hochschulgebiet bezugsbereiter Ersatz besteht».
Mittlerweile zeichnet sich die Bereitstellung von beträchtlichen Ersatzflächen ab: Das Bildungs- und Forschungszentrum UZH bei der Einmündung der Gloriastrasse in die Rämistrasse, geplant von Herzog & de Meuron, hat die Baubewilligung erhalten, im August soll mit dem Bau begonnen werden, Mitte 2030 kann er hoffentlich bezogen werden. Das zweite grosse Uniprojekt, der «Schanzenberg», wird hingegen voraussichtlich viel später kommen als zuerst geplant, erst um zirka 2050.
Nach 2030 werden elf Häuser frei
Der Vertrag von 2018 enthält eine Liste der rückzuführenden Gebäude. Demnach sollen ein bis zwei Jahre nach Fertigstellung des Forums UZH elf Liegenschaften wieder für Wohnzwecke adaptiert werden, darunter das Englische Seminar – also doch ...
Wie aber ist der Stand heute tatsächlich? Claudia Wyss, Leiterin Kommunikation Direktion Immobilien und Betrieb und Projekt Stadtuniversität UZH, hält fest, der aufgrund steigender Studierendenzahlen herrschende Flächenmangel verhindere, dass vorzeitig Flächen geräumt werden könnten. Doch es gebe laufend Optimierungen des Immobilienportfolios. «Die UZH ist grundsätzlich bestrebt», schreibt Wyss, «bestehende Nutzungen mit Wohnraumpotenzial, auch ausserhalb des Vertragsperimeters und des vertraglichen Zeitrahmens, frühzeitig zurückzuführen.» Dennoch rapportierte die USZ der Stadt im September 2023, sie habe von 2004 bis 2017 über 11 000 m2 Fläche zurückgegeben, «davon 6729 m2 anrechenbare Wohnfläche».
Eine vorzeitige Rückgabe von Wohnfläche war kürzlich dem USZ möglich, dank eines Verwaltungsneubaus beim Bahnhof Stettbach mit 500 Arbeitsplätzen. Wie Claudio Jörg, Kommunikationsbeauftragter des USZ, berichtet, machte das USZ per Ende März 2023 eine Liegenschaft an der Voltastrasse und Teile eines Gebäudes an der Zürichbergstrasse frei, die es bis anhin als Büroräume genutzt hatte. «Durch die frühzeitige Auflösung der Mietverhältnisse können die privaten Eigentümer über die Flächen verfügen», erklärt Jörg. Vertraglich wäre diese Übergabe erst spätestens 2030 fällig gewesen.
Wohnen an privilegierter Lage
Kommen wir zum Schluss noch einmal zur ETH zurück, die schon am längsten im Rückführungsprozess steckt und auch mit dem Campus Hönggerberg ein grosses Areal zur Weiterentwicklung besitzt. 2018 hatte sie angekündigt, die «Rückgabe der bundeseigenen Liegenschaft an der Hochstrasse 60 mit anrechenbaren 820 m2» sei «formell beschlossen, aber noch nicht im Grundbuch eingetragen und noch nicht in Wohnraum rückgebaut».
Das ist aber inzwischen passiert: Das Haus an äusserst privilegierter Lage in Fluntern ist eingerüstet (siehe Bild), und eine Immobilienplattform bietet unter dieser Adresse eine «grosszügige Altbauwohnung am Zürichberg» an, mit 4,5 Zimmern im Erdgeschoss und 136 m2 Wohnfläche. Mietkosten inklusive Nebenkosten: 6950 Franken.
Der «Tages-Anzeiger» hatte also recht, als er in einem Artikel mit dem Titel «Universität Zürich muss Villen räumen» im Januar 2019 schrieb, um die Förderung preisgünstigen Wohnraums werde es «höchstens im Einzelfall» gehen. Die rückzuführenden Häuser sind eben mehrheitlich würdige Altbauten, die nach einer gründlichen Renovation in der höchsten Preisklasse landen. Das Haus an der Hochstrasse 60 wurde 1896 erbaut und erweist sich bei einem virtuellen Einblick als wahres Bijou.
Ob so die Visionen der Stadtpolitiker von 1977 aussahen? Die Realität der Rückführungen heute sieht so aus: Zürich wird zwar um ein paar Prestigeobjekte reicher werden, von Linderung der Wohnungsnot jedoch keine Spur.