In Zürich gelten schon Gebäude mit mehr als 25 Metern Höhe als Hochhäuser. So ist die Swiss Life Arena einer dieser 300 «Wolkenkratzer». Einen Hochhausboom gab es in den 1960er-Jahren, dann schob eine 1984 angenommene Volksinitiative dem Hochhausbau einen Riegel. Vor 25 Jahren wurde das temporäre Verbot dann immer mehr gelockert. Seither wurden 120 neue Hochhäuser gebaut und nicht wenige sind in Planung. Doch die Kritik an Hochhäusern wächst. Denn laut dem Kantonalen Planungs- und Baugesetz muss die Ausnutzung pro Überbauung gleich bleiben. Mehr Hochhäuser bedeutet also nicht mehr Wohnungen – meist aber teureren Wohnraum, markante Prägungen fürs Stadtbild, höheren Energieverbrauch und Einfluss auf das Stadtklima.
Drängende Herausforderungen
Der Stadtrat ist sich dieses Spagats durchaus bewusst, wie an einer Medienorientierung vergangene Woche spürbar wurde. Stadtrat André Odermatt (SP) und Katrin Gügler, Chefin des zuständigen Amtes für Städtebau, stellten die vom Stadtrat erarbeiteten aktualisierten Hochhausrichtlinien und die entsprechende Teilrevision der Bau- und Zonenordnung (BZO) vor. Odermatt gab sich überzeugt: «Mit der Aktualisierung begegnen wir drängenden Herausforderungen in den Bereichen Ökologie, Freiraum und Gesellschaft.» Katrin Gügler ergänzte: «Ob mit öffentlichen Erdgeschossen, Aussenräumen zum Verweilen oder einem Beitrag für das Lokalklima: Neue Hochhäuser müssen mehr leisten.»
Der Umkehrschluss: Bisher wurde beim Hochhausbau beispielsweise die Umgebung vernachlässigt, ebenso die Ökologie und die Zugänglichkeit. Tatsächlich ist etwa die Möglichkeit für Otto Normalverbraucher, den Prime Tower zu nutzen, sehr tief. Ein teures Restaurant hoch oben im höchsten Gebäude der Stadt ist das einzige der Glücksgefühle.
Höher gleich strenger
Nun ist Katrin Gügler überzeugt, dass die Stadt erhöhte Qualitätsanforderungen verbindlich von den Bauherrschaften einfordern kann. Dafür sollen sie in Form von Sonderbauvorschriften in der BZO verankert werden. Gügler dazu: «Je höher das Hochhaus, desto strenger die Anforderungen.» Doch ist das nicht nur Wunschdenken? Die Stadt versichert, dass sämtliche Hochhäuser über 80 Meter wie bisher nur mit einem Gestaltungsplan realisiert werden könnten, der die Zustimmung von Stadt- und Gemeinderat erfordert. Dabei sind aber Zugeständnisse möglich. So durfte etwa die Zurich Versicherung in der Enge höher bauen als vorgeschrieben, muss sich aber mit mehreren Millionen Franken an der Erneuerung der Hafenpromenade beteiligen.
Lockern will der Stadtrat mit den neuen Richtlinien das Hochhausgebiet bis 40 Meter. Neu solle es auch Teile von Wohnquartieren wie etwa Schwamendingen, Seebach und Albisrieden umfassen. So soll es mehr Grünräume geben und bessere Durchlüftung als bei Riegelbauten. Und nicht zuletzt könnten durch Hochhäuser in diesen Gebieten eher Altbauten erhalten bleiben. Aufgrund der Einwendungen im Rahmen der öffentlichen Auflage wurde dieses Gebiet gegenüber der ursprünglichen Vorlage leicht verkleinert.
357 Einwendungen
Total gab es übrigens 357 Einwendungen, wie André Odermatt erklärte. «Hochhäuser sind ein emotionales Thema, ein Politikum», stellte der Hochbauvorsteher, der seit 14 Jahren im Amt ist, fest. Nun geht diese Version in die Gemeinderatskommission und später in den Gemeinderat. Ob es dazu ein Referendum und eine Volksabstimmung gibt, ist noch unklar. Ebenso, ob und wie die bald zur Abstimmung kommende Uferschutzinitiative die Richtlinien beeinflusst. Die Initiative will nichts weniger als über 25 Meter hohe Gebäude am See- und an den Flussufern von Limmat und Sihl verbieten.
Experte Heinz Oeschger mahnt
Auch aus dem Gemeinderat gibt es jetzt schon Widerstand gegen die Richtlinien. Heinz Oeschger, ETH-Architekt aus dem Kreis 7, lieferte Daten für einen durchaus fundierten Vorstoss von 37 Ratsmitgliedern von SVP bis Grüne. Sie fordern nun vom Stadtrat bis Anfang Oktober Antworten zu den eben vorgestellten Richtlinien. Die Kritiker sind überzeugt, dass die Stadt mit irreführenden Flächenangaben operiert. So will man wissen, ob die Hochhausgebiete gegenüber bisher nicht doch vergrössert werden. Kritisiert wird zudem die Planung und Bauerei entlang des SBB-Gleisfeldes vom Hauptbahnhof bis nach Altstetten. Hier wird befürchtet, dass eine wärmespeichernden Betonschlucht entsteht. Weiter wird das Instrument des bewilligenden achtköpfigen Baukollegiums hinterfragt. Hier sei neben zwei Stadträten auch Amtschefin Katrin Gügler stimmberechtigt. «Warum werden die Höhenbeschränkungen im Baukollegium und bei Baubewilligungen immer wieder grosszügig ausgelegt? Braucht es überhaupt neue Hochhausrichtlinien, wenn diese nicht immer eingehalten werden?», so die provokative Frage der Gemeinderäte an den Stadtrat.
Narrativ widerlegt
Auf der Redaktion dieser Zeitung hat sich zudem die «Arbeitsgruppe Städtebau & Architektur, Zürich» gemeldet. Sie fordert nichts weniger als ein Innehalten, weil die neuen Hochhausrichtlinien «an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbei geplant» würden. Es sei unklar, ob die Bevölkerung überhaupt mehr Hochhäuser wolle. «Dass wir mehr Wohnraum schaffen müssen, bestreiten wir nicht. Doch Hochhausbauten sind viel teurer, schaffen keinen bezahlbaren Wohnraum und sind für den Wohnungssuchenden nicht erschwinglich», ist die Arbeitsgruppe überzeugt. Das Narrativ, man müsse zum Verdichten in die Höhe bauen, sei widerlegt.
Für Diskussionsstoff in den nächsten Monaten und Jahren ist also bereits reichlich gesorgt.