Tobias Hoffmann
Labitzke, was war das noch mal? Vor zehn Jahren räumte die Polizei das Areal der ehemaligen Farbenfabrik Labitzke in Altstetten. Viele Jahre lang war es teilweise ordentlich vermietet, teilweise besetzt gewesen. 2015 begannen der Abbruch der Altbauten und die Altlastensanierung, von 2016 bis 2018 baute das renommierte Architekturbüro Gigon Guyer auf dem Areal ein verschachteltes Konglomerat von acht Wohngebäuden mit ganz unterschiedlichen Höhen. Auf der Website präsentiert es sich in schönstem Architekturjargon so: «Die tektonische Struktur und die farbliche Differenzierung in der Höhe über alle Fassaden vereinen die Baukörper zu einer Grossform. Die Vergangenheit des Areals als Farbenfabrik widerspiegelt sich im Farbkonzept: Im Inneren ist jedem Haus ein Farbton zugeordnet.»
Wer jedoch heute die Innenhöfe des Areals durchquert und die Fassaden auf «farbliche Differenzierung» prüft, nimmt zwar die spannende Verschachtelung der Baukörper wahr, reibt sich andererseits aber die Augen und fragt sich: Bin ich farbenblind? Was sich tatsächlich vermittelt, ist die «Grossform»: ein ziemlich homogener, schwer zu beschreibender Farbton irgendwo zwischen hellbeige, sandfarben und eierschalenweiss. Gediegene, schmerzfreie Eleganz. Kein Farbtupfer, nirgends. Nur bei sonnigem Wetter kann man Farbnuancen zwischen den Stockwerken erkennen. Dabei müsste man doch annehmen, dass bei grossformatigen Arealüberbauungen die Vermeidung von Monotonie oberste Priorität haben müsste.
Einförmiges Schillern
Dem ist aber nicht so. Schauen wir uns zwei andere Beispiele an. Schwenker nach Unterstrass: Die 2016 fertiggestellte Wohnüberbauung «Guggach» von Baumberger Stegmeier Architektur und EMI Architekten (BS+EMI Architektenpartner AG) besteht aus vier mächtigen, unregelmässig geformten Baukörpern, die einen grossen Hof einfassen. Die Fassaden bestehen aus Gussglas und schillern in einem metallischen Grün. Ein sehr charakteristisches Gewand, ungewöhnlich und darum eigentlich schätzenswert – aber in der Gesamtheit schlägt hier die Monotonie voll durch. Zu massiges Schillern stumpft ab.
Und noch ein Blick in den Norden: Westlich der Tramendhaltestelle Seebach befindet sich ein Hotspot der neueren Genossenschaftsarchitektur. Vor rund zwanzig Jahren begann die Baugenossenschaft Glattal damit, in einem gewaltigen Erneuerungsakt und in Etappen nicht mehr zeitgemässe Wohnbauten aus den 1950er-Jahren zu ersetzen.
Die fünf Siedlungen wirken jede für sich homogen und auf den ersten Blick monochrom. Sie unterscheiden sich jedoch untereinander ästhetisch teilweise fundamental, was – gottlob! – zu viel Abwechslung führt.
Was sind «hohe Anforderungen»?
Das zeigt ein Spaziergang die Katzenbachstrasse entlang, der an allen fünf Siedlungen vorbeiführt. Von der Schaffhauserstrasse her kommend sieht man links zuerst die Bauten der ersten Etappe (2007), die in einem etwas diffusen Beige gehalten sind. Rechts stehen ihnen die fünfgeschossigen Bauten der Etappe IV (2015) mit Fassaden aus dunkelrot glänzenden Keramikplatten gegenüber. Weiter vorne folgen linkerhand die cremeweissen Kuben der Etappe II (2010) und ihnen gegenüber die ebenfalls in Keramikplatten gehüllten Gebäude der fünften Etappe (2019). Am Schluss wird auf der linken Seite eines der Häuser der dritten Etappe (2013) sichtbar; diese sind mit einer hellgrauen Wellblechfassade verkleidet.
Nehmen wir noch zwei aktuelle Beispiele von Überbauungen mit der Stadt als Bauträgerin: Die zwei monumentalen Siedlungen «Depot Hard» an der Hardturm- und «Letzi» an der Hohlstrasse (schräg gegenüber der Labitzke-Überbauung) weisen grossflächig zurückhaltende Sand- bzw. Grautöne auf. Was hält die Stadt von dieser «Monotonie»? Gian-Marco Jenatsch, Leiter Architektur im Amt für Städtebau, differenziert zwischen Monotonie und Monochromie, wobei er Letztere im Fall der genannten Beispiele nachvollziehen kann. Er betont jedoch, dass für diese Projekte die gesetzliche Anforderung an eine besonders gute Gestaltung gelte. Für die Qualitätskontrolle sorgte in diesen Fällen ein Konkurrenzverfahren. Im nachfolgenden Bewilligungsverfahren bildeten Farbe und Material wiederum ein Beurteilungskriterium.
Aber es scheint so, als führe die Forderung nach «besonders guter Gestaltung» in erster Linie zu farblicher Zurückhaltung.