Patrick Holenstein
Benjamin Amaru, du wirst seit einiger Zeit als Shootingstar gehandelt und berührst mit deiner Musik viele Menschen. Wie geht es dir mit diesem Label?
Das Label ist für mich ganz okay, aber auch lustig. Ich mache ja nicht erst seit einer Woche Musik, sondern bin bestimmt vier oder fünf Jahre musikalisch unterwegs und habe schon vor dem Album rund 70 Songs, inklusive EPs, veröffentlicht. Ich wollte zuerst das Studium beenden und hatte während dieser Zeit nicht so wirklich Kapazität für Pressearbeit oder Interviews. Die Leute wussten ja, dass Songs da waren, und wir hatten immer grosse Streamingzahlen und eine schöne Fanbase, auch in Deutschland, wo wir vor zwei Jahren bereits eine ausverkaufte Tour spielten. Das war mein Credo und es hat gut funktioniert. Tatsächlich hat in der Schweiz, abgesehen von SRF 3, die mich fast von Anfang an unterstützt haben, niemand grosses Interesse gezeigt. Nun passiert das, wofür ich einen Deal mit dem Label Warner Music unterschrieben habe – viel PR. Diese geschieht auf einer Ebene, die als Privatperson schwierig zu betreiben ist, weil es unter anderem auch viel Geld kostet. Das Grossartige daran ist, dass mich dadurch Leute entdecken, die gar nicht wussten, dass ich aus der Schweiz bin, und die jetzt die Musik und das Projekt ganz anders geniessen. Aber für mich wird auch immer wichtig bleiben, dass die Leute meine Musik auch hier, wo ich herkomme und lebe, sehen.
Was bedeutet Musik für dich?
Generell ist Musik für mich eine Art Medium, egal ob ich sie höre oder zum Schreiben nutze. Sie ist wie eine Dimension, durch die sich Emotionen, Sachverhalte oder Nachrichten übermitteln lassen, und gleichzeitig wie ein Verständigungswerkzeug für mich, um das Kommunizieren enorm zu geniessen. Sie ist wie eine Sprache, die man gerne spricht und mit der das Sprechen sehr viel Spass macht.
Was hat es mit den geometrischen Figuren auf dem Cover von «All of My Dreams» auf sich?
Beim Album drehte sich vieles darum, dass ich lange gar keine Platte machen wollte und mich arbeitstechnisch davor drückte. Eigentlich wollte ich schon als kleiner Bub so ein Projekt realisieren, also mit vielen Freunden Songs schreiben, Musik produzieren, ein Album aufnehmen und es schliesslich veröffentlichen. In dem Album vereinigen sich viele Träume, die ich schon als Kind hatte. Durch den Titel «I Always Remember All of My Dreams» wollten wir Träume darstellen, die man vor sich hat und nie vergisst. Die gibt es in ganz vielen Formen und Farben. Die Wiese, auf der ich stehe, ist im Ort, wo ich aufgewachsen bin. Vor mir steht eine Scheibe, quasi eine Linse, durch die ich das Leben sehe und auf der verschiedenen Formen und Farben zu erkennen sind. Wir haben sie als pastellfarbene Formen dargestellt, weil das gut zur Art passt, wie ich durch das Leben gehe. Wir wollten diesen Träumen einen Körper geben, der aber nicht eine Art Wolke ist, sondern eine konkrete Form, die ein Traum annehmen kann.
Wie lange habt ihr am Album gearbeitet?
Theoretisch sind circa 90 Prozent in zwei Wochen entstanden. Ich habe ein paar Freunde nach Zürich eingeladen und ihnen gesagt, dass ich gerne ein Album machen würde und zwei bis drei Wochen Zeit dafür einplane. So sind Gian Rosen, Lucas Riemenschneider und andere Freunde, die auch schon mit mir produziert haben und mit denen ich gerne arbeite, zusammengekommen und gemeinsam ans Produzieren herangegangen. Immer mit dem Ziel im Blick, ein Album zu produzieren. Es ist megaschön, wie aus diesem Team heraus die Musik natürlich gewachsen ist. Kein Song ist übereilt entstanden, sondern genau so, wie er sein soll. Songs wie «Johnny’s Lancia», «Waiting» oder «Slowly Dancing» sind im Nachhinein noch dazugekommen, aber der Rest ist in Zürich innerhalb dieser wenigen Wochen entstanden.
Deine Songs klingen stilistisch sehr breit – verspielt und gleichzeitig durchdacht. Wie hast du deinen Stil entwickelt?
Viel von dieser Luftigkeit kommt daher, dass ich das Album gemeinsam mit guten Freunden gemacht habe. Gian Rosen bringt viel von dieser verspielten Kindlichkeit mit und Lucas Riemenschneider produziert meiner Meinung nach supertoll. Leute wie Dariush Mehdiaraghi, der mit mir schon eine Break-Beat-EP herausgebracht hat, hatten ebenfalls Einfluss. Man hört beispielsweise bei «Your Mom» seine Arbeit gut raus. Oder Josef Actill, der mit mir «U-Ser-Name» oder «You Don’t Know» gemacht hat, also die älteren Songs, die ich herausgebracht habe. Er war dabei und gab seine Inputs. Weil wir so viel Spass hatten, war nie die Angst davor da, uns auf neues Terrain zu begeben. Es ist uns als Gruppe gelungen, einen roten Faden beizubehalten. Der grosse Spass an der Musik macht den Stil aus sowie ein enormer Drang zur Authentizität und zur Originalität, etwas zu machen, was nicht überall zu hören ist und das echt klingt. Mir hat kürzlich jemand gesagt, das Album klinge, als hätten ein paar Kinder versucht, ein Indie-Pop-Album zu machen, weil in vielen Songs eine unschuldige Freude und Kindlichkeit drin sei. Die Person hat das überhaupt nicht negativ gemeint. Ich bin deshalb sehr glücklich mit der Form, die das Album angenommen hat.
Was spielst du für Instrumente und welche nutzt du fürs Komponieren von Songs?
Ich beginne sehr gerne am Klavier, weil ich hauptsächlich Klavierspielen gelernt habe. Mittlerweile mache ich auch viel mit der Gitarre. Bass und Schlagzeug spiele ich so, dass es für das Produzieren reicht. Live würde ich beide Instrumente nicht unbedingt spielen wollen. Es ist zwar auch schon passiert, aber es sind nicht meine besten Asse im Ärmel.
Mir ist «Lost in the River» sehr aufgefallen. Einerseits ist die Musik fast hypnotisch und ufert am Ende aus. Andererseits könnte der Text auf mentale Probleme hindeuten, aber auch auf soziale Ängste wie Vertrauensverlust. Wie ist das gemeint?
Man kann das so interpretieren, ich habe das auch schon so gesagt bekommen. Als ich den Song schrieb, war der Gedanke viel weniger ernst. Manchmal gibt es Situationen im Leben, in denen man sich selbst anlügt. Tief im Inneren erkennt man aber vermutlich schon die Wahrheit. «Lost in the River» zeigt dieses Mindset, dass man manchmal so im «River» verloren ist, dass man die innere Wahrheit etwas verliert oder verdrängt. Wie wenn ich mir vornehme, in den nächsten drei Monaten mehr Sport zu treiben, aber mir alle zwei Tage sage, dass ich übermorgen beginne, weil das ja auch okay ist. Das passiert uns in Beziehungen oder im Arbeitsleben. Wir verlieren uns so leicht in diesem Nebel und diesem Fluss aus den Gedanken, die uns durch den Kopf gehen, dass wir manchmal die Wahrheit oder den Baum vor lauter Wald nicht mehr sehen. Darum geht es im Song. Natürlich schon etwas ernster gedacht als bei meinem Sportbeispiel. Ich beziehe es eher auf das Verhältnis zu meinem inneren Ich. Der musikalische Ausbruch am Schluss ist für mich eine Art Erweckungsschrei, mit dem Wunsch, dass die Leute mehr auf sich hören. Natürlich ist es nicht so einfach, den Nebel zu durchdringen, und man hört so viel Gedanken und Stimmen, dass man manchmal nicht so recht weiss, was eigentlich echt ist.
Wie weit bist du mit den Vorbereitungen?
Die Tour ist ein riesiges Projekt, aber wir sind gut unterwegs. Wir spielen 18 Shows und bereiten die Tour dementsprechend schon seit einer Weile vor. Im Projekt Benjamin Amaru arbeiten viele passionierte Menschen mit, die dann auch stark in diese Vorbereitungen involviert sind. Alle geben Gas in den Vorbereitungen, damit wir auf Tour viel Spass haben können, ohne uns zu viele Gedanken darüber zu machen, was als Nächstes passiert.
Was braucht für dich ein Konzert, damit du zufrieden bist?
Ich bin da nicht wirklich ein Perfektionist. Meistens bin ich schon mit wenig sehr zufrieden. Ich messe ein Konzert daran, wie viel Spass es mir macht, vielleicht im Bezug dazu, wie viel Freude ich beim Spielen habe, wie gut der Mix auf meinen In-Ears klingt und wie viel Fun die Menschen im Publikum haben. Man merkt den Leuten recht schnell an, ob die Stimmung gut ist. Ich habe noch nie einen Gig erlebt, bei dem ich dachte: «Boah, war das schlecht.» Das hängt damit zusammen, dass wir auf der Bühne so ehrlich sind wie auf dem Album. Natürlich ist vieles durchdacht, aber genauso viel eben auch nicht, und das finde ich gerade cool. So können wir einen Teil Live-Spontaneität erhalten, die wir uns nicht nehmen lassen wollen. Es muss ja nicht bei jedem Song detailliert klar sein, wo jeder stehen muss, sodass auch mal etwas spontan passieren kann. Ich glaube, das hat uns sehr geholfen, um eine coole Balance zwischen perfekt und unvollkommen zu finden. Darum ist es oft schwierig zu sagen, ob ein Konzert gut war. Aber ich glaube, das macht es genau aus. Ein gutes Konzert braucht eine gewisse Leichtigkeit, sodass ich mir nie Gedanken machen muss, wo ich in fünf Sekunden stehen muss, sondern dass vieles intuitiv passiert.
Kennst du Lampenfieber?
Nicht im klassischen Sinn. Ich habe vor einem Konzert schon ein spezielles Gefühl im Bauch, aber meistens ein geiles, und ich freue mich jeweils sehr auf die Bühne. Natürlich wähle ich als ersten Song einen Titel, den ich gut beherrsche, und nicht einen, bei dem ich nicht ganz so sicher bin. Dann fühle ich mich schon am Anfang recht sicher, und wenn das gut klappt, läuft der Rest von allein. Dann geht es nur noch darum, das Level zu halten. Es ist tatsächlich eine Motivationsfrage. Bei mir ist es weniger Lampenfieber als eher ein Motivationsfieber, dass mich nicht mitten in der Show die Lust verlässt, weil mir ein Fehler passiert ist oder ich Angst bekomme, es klinge nicht gut. Mein Lampenfieber ist die Angst davor, zu wenig Spass zu haben.
Was machst du, wenn dir mal alles zu viel wird und du dich ausklinken willst?
Ich klinke mich schon recht viel aus und verbringe viel Zeit mit meiner Freundin oder mit Freunden. Ich schaue bewusst, dass ich nicht den ganzen Tag darüber nachdenke, was ich als Nächstes tue. Es gibt natürlich ganz klare Aufgaben, die ich erledigen muss und zu denen ich mir jeden Tage Gedanken mache, was ich besser oder anders machen könnte. Aber in solchen Sachen verliert man sich als Musiker recht schnell. Weil ich oft nicht am Musikmachen bin, sondern etwas völlig anderes tue, entsteht schon ein Ausgleich. Das passiert aber bei mir überhaupt nicht in einem bestimmten Rahmen, einem bestimmten Moment, sondern vielmehr dann, wenn ich nicht darüber nachdenke, wann mein neuer Song erscheint oder ob der letzte Track genug Streams bekommen und Geld eingespielt hat oder wie gut die Tour läuft. Immer, wenn ich nicht über solche Dinge nachdenken muss, bin ich sehr at peace und muss gar nicht gross abschalten, sondern kann auch mal einfach eine Stunde für mich Klavier spielen.
Du bist inzwischen nach Zürich gezogen. Wie wichtig ist es für dich als Musiker, wo du wohnst? Hat Zürich da Vorteile?
Theoretisch wäre Berlin ein guter Ort, wenn es nur um meine Karriere ginge. Gerne wollte ich jedoch an einem Ort leben, wo ich mich wohlfühle und dies nicht nur etwas mit meiner Musik zu tun hat. Ich finde es toll, mit Gian Rosen zusammenzuwohnen und merke, dass das halt schon auch Sinn ergibt. Ich mag Zürich als Stadt und bin direkt nach der Matura nach Zürich gezogen, habe viele Freunde hier und geniesse es. Dafür reise ich im Moment viel, bin oft in Berlin, Hamburg oder Köln am Arbeiten. Aber ich merke schon, dass ich gerne wieder nach Zürich zurückkehre.
Was war rückblickend der schönste Moment deiner bisherigen Karriere?
Es gibt viele solche Momente. Ich habe das Gefühl, dass live viele solche Dinge passieren. Zum Beispiel war das Open Air St. Gallen so ein Moment oder dass wir dieses Jahr am Gurtenfestival spielen durften. Gleichzeitig waren aber auch die paar Tage, in denen das Album erschien, sehr schön und unbeschwert. Die besten Highlight-Moment sind für mich jene, in denen ich gar nicht an morgen denke. Meistens ist das dann, wenn ich mittendrin bin, ob bei einer Liveshow oder beim Musikmachen oder irgendwo mit Freunden, wo ich hundertprozentig im Jetzt sein kann. Ich behaupte, wenn ich Highlights aufzählen müsste, wäre die Liste zu lang. Darum sage ich dir, mein Highlight in diesem Jahr ist, dass ich das Studium beenden und mich voll und ganz auf die Musik konzentrieren konnte.
Dieses Interview entstand in Zusammenarbeit mit dem Zürcher Online-Kultur-Magazin Bäckstage.ch