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Züriberg
06.11.2024
06.11.2024 13:37 Uhr

Junges Literaturlabor: Ein Hauch von Tüll

«Hier kann ich nicht unpersönlich sein». Afrim Fetinci über das Palais Rechberg.
«Hier kann ich nicht unpersönlich sein». Afrim Fetinci über das Palais Rechberg. Bild: Afrim Fetinci/Zürich 24
Marie-Thérèse Ficnar (87) möchte mehr über das Palais Rechberg am Hirschengraben erfahren. Der 26‑jährige JULL-Stadtbeobachter Afrim Fetinci hat für sie die Vorhänge berührt und hat sich im Garten verlaufen.

Der wohl bedeutendste Rokokobau des Kantons Zürich stellt meine Existenz fundamental infrage. Hier kann ich nicht ­unpersönlich sein. Ich kann mich hier nicht zurücklehnen. Meine Augen öffnen sich, denn Reichtum weckt mich und verletzt mich. Ständig macht er was mit mir. Ich wünschte, ich könnte hier für eine Weile leben. Bis sich meine Augen nicht mehr öffnen. Ohne zu zögern würde ich auch in eines der Nebengebäude ein­ziehen. Zum Beispiel ins Packhaus. Dort würde ich unter der pyramidenförmigen Verglasung meine Ruhe finden. In spiralförmige Vorhänge habe ich mich auch verliebt. Manchmal waren die Vorhänge weiss und manchmal rosa. Ich möchte die gleichen Vorhänge in meinem Zimmer haben. Statt Samt- und Brokatstoffen würde ich mich auch für die Leichtigkeit aus Tüll mit Pailletten entscheiden. Die äusserst qualitätvolle Ausstattung im Stadtpalais lässt mich meine Welt durch eine andere Linse sehen.

Die Atemnot

Viel schwerer ist das Kunstwerk von Marc-Antoine Fehr. Ein large-format work, «Der Verschollene» («The Man Who Disap­peared») von 2013. Es gibt mir kurz den Rest. Vor neutralem blauem Hintergrund schwebt eine Figur in horizontaler Lage. In einem Sitzungszimmer. Ich bleibe nicht neutral, erfinde Geschichten und finde den Verschollenen. Es ist Kurt Cobain! Ich erinnere mich an die Poster, auf denen Kurt Cobain mit seiner Gitarre abgebildet war. Poster, die kitschig wurden, weil ich sie schon in allerlei Wohnungen gesehen hatte. In Wohnungen, die so hohe Decken hatten, dass ich Atemnot bekam. «What is the point of someone hang­ing up a Kurt Cobain poster in their room if they don’t let me shoot myself in the head.» Punk wurde zu Deko. Im Untergeschoss der Remise sehe ich Rot. Ich gehe zur Krone hinauf. Dort bin ich von festlichem Licht umgeben. 

Das Generalsquartier

Die Krone, wie das Haus zum Rechberg ­ursprünglich hiess, hat einige Restaurierungen hinter sich. Ich bin nicht der Erste, der sich hier was wünscht. Das Palais diente einflussreichen Zürcher Familien als Wohn- und Geschäftssitz, aber auch als Ort der Politik: In den Wirren der Koalitionskriege nutzten die jeweiligen Generäle die Krone als Quartier. Nicht weit entfernt vom heutigen Gebrauch: Der Zürcher Regierungsrat empfängt hier Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland. Um den heutigen praktischen und repräsentativen Bedürfnissen zu dienen, durften der Rechberg und die Nebengebäude kein Museum werden. Trotzdem sind zwei Zimmer vollständig ausgemalt, in neun Zimmern gibt es zumindest gemalte Supraporten und vier Räume weisen bemalte Deckenspiegel auf. Szenen aus der Mythologie, Ideallandschaften, Architekturdarstellungen und eine Darstellung von Jupiter, der, umgeben von Saturn, Neptun und Mars, Merkur zur Erde schickt. 

Der Lustgarten

Grün ist der Garten. Gelb ist der Garten. Heute ist dieser Garten schon für sich ­genommen einzigartig. Er ist einer der schönsten Barockgärten Zürichs und gleichzeitig ein Denkmal von nationaler Bedeutung. Ein Lustgarten für die Bevölkerung und die Obstbäume sind am oberen Ende. Von kleinen Zitronenbäumen war die Rede, gesehen habe ich sie nicht. Ein sonniger Sonntagnachmittag. Ich beobachte keine Menschen, ich schaue mir Eiben-Kegeln und geschwungene Treppen an. Das nächste Mal werde ich die Fontäne genauer betrachten. Nicht nur die Harten kommen in diesen Garten. Das sind die Öffnungszeiten des Parks: Montag bis Sonntag, 6.00 bis 21.00 Uhr. Nachts geschlossen. 

Der Schreibende
Afrim Fetinci: «Ich bleibe optimistisch, vielleicht werde ich hier eines Tages wohnen.» 

Die Wünschende
Marie-Thérèse Ficnar stellte sich den Stadtbeobachterinnen und -beobachtern als «sehr alte Zürcherin» vor. Hottingen ist ihre Heimat, unterdessen lebt sie im Gesundheitszentrum für das Alter Klus Park. Sie erzählt uns auch von der Münsterbrücke, von wo aus man samstags um 19 Uhr ein Gratiskonzert aller Kirchenglocken der Stadt bekomme. 

Afrim Fetinci/Zürich 24