Tobias Hoffmann
Das wohl beliebteste Vorurteil von Glühweinverächtern lautet: Da handelt es sich bestimmt um Fusel. Bei so viel Zucker und Gewürzen merkt man doch eh nicht mehr, was man trinkt. Handkehrum lässt sich sagen: Soll man denn einen guten und teuren Wein auf diese Weise verfälschen? Wie man auf Wikipedia lesen kann, wurde der in der Antike oft saure Wein gerne mit Honig und Gewürzen versetzt, um ihn angenehmer zu machen. Allerdings wurde er kalt getrunken, während heute ein heisses Gemisch die Kehlen hinunterrinnt, mit Vorliebe denjenigen Leuten, die sich auf Weihnachtsmärkten den Magen und die Finger wärmen möchten.
Kulturimport aus Deutschland
Beim Stichwort Weihnachtsmarkt sind wir bei einem Verdacht, den kulturhistorische Recherchen vermutlich erhärten könnten: Glühweintrinken ist primär eine deutsche Tradition. Vor Jahrzehnten mag sich ein Schweizer beim Weihnachtsshopping in Konstanz oder sonst wo noch verwundert gefragt haben, wieso es sich Deutsche antun, an einem kalten Adventsnachmittag draussen an einem Budentresen zu stehen und solch eine Zuckerbrühe zu trinken. Heute ist das auch hierzulande gang und gäbe. Vielleicht liegt das einfach daran, dass wir so viele Einwanderer aus Deutschland haben. Immerhin leben über 30 000 Deutsche in Zürich. Da kommt so mancher Glühweinstand in Schwung.
Mehr als nur Lebkuchengewürz
Übrigens ist ein deutsches Unternehmen Weltmarktführer bei industriell hergestelltem Glühwein. Da solcher Industriewein tatsächlich oft aus minderwertigen Massenweinen hergestellt und stark gezuckert wird, sollte man bei zu süssem Glühwein wohl eher misstrauisch sein. Und ausserdem will man bei den Gewürzen –traditionell aus dem Lebkuchenbereich – ein bisschen Abwechslung haben; man freut sich über individuelle Ausprägungen «nach Art des Hauses».
Drei Redaktoren dieser Zeitung haben sich ein bisschen in Zürich umgeschmeckt. Eine solide gastronomische Einschätzung ist von ihnen aber nicht zu erwarten, denn wer ist schon Glühweinkenner. Aber man kann ja schliesslich auch freundlich nachfragen, nach welchem Rezept der jeweilige Trunk gebraut ist. Das Ambiente kann man auch beurteilen. Und die Preise vergleichen. Und am Schluss einen Kopfwehtest machen.