Wer durch den Friedhof Nordheim spaziert, dem fällt der helle Grabstein zumindest auf den zweiten Blick auf. Denn das Familiengrab mit Nummer 80022, nicht weit vom Haupteingang in Richtung Wehntalerstrasse entfernt, trägt eine Plakette, die es in sich hat. Es ist nichts weniger als ein QR-Code. Also ein zweidimensionaler Code, den man mit dem Handy abfotografieren kann und der einen auf eine spezielle Website führt. Man erfährt einiges über die verstorbene Person, also ihre Herkunft, ihr Leben und einige besondere, ja berührende Erlebnisse. Hinter der Idee steht Erich Bohli (74), der selber seit über 50 Jahren in Oerlikon lebt.
Begraben in besagtem Grab ist seine spanischstämmige Ehefrau Vicenta Ferrandis y Guillem. Beruflich hatte sich Bohli der Wirtschaft verschrieben, zuletzt als Fust-CEO, wie die NZZ vor einigen Jahren in einem langen Porträt schrieb. Im Ruhestand absolvierte Erich Bohli ein geisteswissenschaftliches Studium – und schuf eine Plattform für Lebenserinnerungen. Gegenüber dieser Zeitung betont Bohli, «dass Erzählen der eigenen Lebensgeschichte durch Laienautorinnen und -autoren zunehmend populärer» werde. Bohli hat aus dem Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft (ISEK) der Universität Zürich heraus und zusammen mit Professor Alfred Messerli die Autobiografie-Plattform meet-my-life.net entwickelt. «Sie hat keine kommerziellen Zielsetzungen, wird aber von Coop hauptgesponsert», so Bohli.
Nicht auf Festplatte verkümmert
Als Leitplanke dient den Verfassern ein von Bohli und Messerli erarbeiteter Katalog von 500 Fragen in 40 Kapiteln, mit deren Hilfe sich ein Leben rekapitulieren lässt. «Wer in den Resultaten schmökert, stösst auf so manche Perlen und das Menschsein in seiner ganzen Fülle: Erinnerungen an den ersten Schultag, die erste Liebe, grosse Verluste, kleine Erfolge», lobt die NZZ. Erich Bohli, der sich schon mit 60 Jahren frühpensionieren liess, ist nach wie vor begeistert vom Tool.
Mit seiner Idee des Grabstein-QR-Codes geht er nun noch einen Schritt weiter. «Wer hat nicht schon etwas über sein Leben aufgeschrieben? Doch statt es auf einer Festplatte verkümmern zu lassen, ist der QR-Code auf Grabsteinen eine innovative und für die Grabbesucher sehr interessante Nutzungsmöglichkeit», findet Bohli. Er ist überzeugt: «Sammeln und Zugänglichmachen von Lebensgeschichten aus dem Volk ist ein sehr wertvolles und erhaltenswertes immaterielles Kulturgut und -erbe.»
Schon länger erwartet
Die Stadt Zürich schreibt auf Anfrage, dass es sich hier tatsächlich um das erste eingereichte Gesuch für ein Grabmal mit QR-Code handle. «Wir haben schon seit einigen Jahren erwartet, dass Angehörige den Wunsch nach einem QR-Code äussern.» Sofern sich der QR-Code zurückhaltend in die Grabmalgestaltung einfüge, sei dieser Entwicklung von Seiten des Bestattungs- und Friedhofamts nichts entgegenzusetzen. Für den Inhalt der verknüpften Website seien hingegen die Angehörigen zuständig.
Laut Statistik nimmt die Anzahl der Bestattungen jedoch stetig ab, seit 2015 von 3408 auf 3092 im Jahr 2023, also minus 10 Prozent, dabei steigt die Einwohnerzahl Zürichs stetig an. Die Stadt sieht das nicht so dramatisch: «Die Zahl der Bestattungen hat sich in den letzten zehn Jahren wenig verändert. Ein Wandel ist bei der Wahl der Grabtypen feststellbar.» Dabei gebe es bei etlichen Grabtypen die Möglichkeit, einen QR-Code am Grab anzubringen. Erich Bohlis Idee könnte also durchaus Schule machen, das Potenzial ist da.