Pascal Turin
Die Schweiz ist weit von einer nachhaltigen Nutzung der weltweiten Ressourcen entfernt. Unsere Bedürfnisse und Wünsche sorgen für einen hohen Materialverbrauch und für hohe Treibhausgasemissionen. Der Erfolg der Eidgenossenschaft fusst auf einer linearen Wirtschaft. «In einem linearen Wirtschaftssystem werden Rohstoffe abgebaut, Produkte hergestellt, verkauft, konsumiert und weggeworfen», so das Bundesamt für Umwelt.
Der Verein Circular Economy Switzerland und das Beratungsunternehmen Deloitte Schweiz haben sich darum zusammengetan und den sogenannten «Circularity Gap Report Switzerland» initiiert. Dieser zeigt zum ersten Mal umfassend, wie es um die Kreislaufwirtschaft in der Schweiz steht. Bei der Kreislaufwirtschaft werden Produkte und Materialien möglichst lange genutzt oder im Umlauf gehalten. Zu den gängigen Strategien gehören unter anderem Wiederverwendung, Aufbereitung und Reparatur. Wenn sich ein Produkt wirklich nicht mehr länger nutzen lässt, wird es rezykliert.
Bevölkerung will Kreislaufwirtschaft
Die Ergebnisse des «Circularity Gap Reports», verfasst von der Amsterdamer Organisation Circle Economy, wurden heute Mittwoch in Zürich den Medien präsentiert. Nur 6,9 Prozent der verwendeten Rohstoffe in der Schweiz stammen aus sekundären Quellen wie dem Recycling. Will heissen: 93,1 Prozent der eingesetzten Materialien und Rohstoffe kommen aus sogenannten primären Quellen – das sind neu abgebaute natürliche Ressourcen. «Diese werden meist im Ausland abgebaut, was dort zu erheblichen Umweltauswirkungen, Emissionen und Abfällen führt», heisst es in der Medienmitteilung. Der Bericht spricht von einer Zirkularitätslücke – dem Circularity Gap.
Die Studie ist auch darum spannend, weil die Stimmberechtigten des Kantons Zürich vergangenes Jahr den Gegenvorschlag zur Kreislauf-Initiative mit über 89 Prozent Ja-Anteil angenommen haben. Damit wurde die Kreislaufwirtschaft in der kantonalen Verfassung verankert.
Ehrgeiziges Ziel gesetzt
Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern wie Schweden (3,4 Prozent) oder Schottland (1,3 Prozent) steht die Schweiz zwar gut da, gleichzeitig liegen wir unter dem globalen Schnitt von 7,2 Prozent. Und die Wirtschaft der Niederlande ist sogar zu 24,5 Prozent zirkulär, wie eine Auswertung von Circle Economy aus dem Jahr 2020 zeigt. Das Fazit an der Medienkonferenz: Die Schweiz hat noch Luft nach oben. Der Bericht soll darum Anstoss zu einem Umdenken geben. Gleichzeitig wird aufgezeigt, welches wirtschaftliche Potenzial in der Kreislaufwirtschaft steckt.
Deloitte Schweiz und Circular Economy Switzerland holten für die Erstellung des Berichts Vertreterinnen und Vertreter aus der Wirtschaft, Politik und Gesellschaft an Bord – darunter von der ETH Zürich, von Entsorgung und Recycling Zürich oder von der Swisscom. An der Medienkonferenz stellte Christine Roth, Ressortleiterin Umwelt beim Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie Swissmem, die Situation in ihrer Branche dar.
Für Roth ist klar: «Die Kreislaufwirtschaft ist für die Schweiz als Land und für die verarbeitende Industrie im Besonderen eine grosse Chance und Herausforderung gleichzeitig.» Wenn das derzeitige Konsumverhalten anhalte, werde die Nachfrage nach Gütern weiterhin unvermindert steigen, und die Welt werde immer mehr Güter konsumieren. «Dies erfordert energie- und ressourceneffizientere Maschinen, neue Technologien und Geschäftsmodelle. Darin liegt eine Chance für die Schweizer Industrie, die dank ihrer Exporte einen Beitrag zu weltweiten Kreislauflösungen leisten kann.»
Die Initianten der Studie wollen nun alle relevanten Personen aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zusammenbringen. In der Studie wurden fünf Bereiche identifiziert, bei denen angesetzt werden sollte (siehe Kasten). Der Materialverbrauch könnte so um ein Drittel reduziert werden (-33 Prozent) und der CO2-Fussabdruck könnte fast halbiert werden (-43 Prozent). Das ehrgeizige Ziel: Der Anteil der Kreislaufwirtschaft in der Schweiz soll bis 2030 beinahe verdoppelt werden – von 6,9 Prozent auf 12,1 Prozent. Dafür braucht es griffige Gesetze, aber auch ein Umdenken bei Unternehmen und Konsumenten. Der vorgestellte Bericht soll den Weg für einen Wandel ebnen.