Dominique Rais
Herr Cornel Fraefel, Sie sind Virologe und Leiter des Virologischen Instituts der Universität Zürich und haben zusammen mit Ihrem Team vor wenigen Monaten ein hierzulande neuartiges Zeckenvirus entdeckt: das Alongshan-Virus (ALSV). Wo liegt dessen Ursprung und inwiefern weist das neue Virus Parallelen zu in der Schweiz bereits gängigen, durch Zecken übertragbaren Krankheitserregern auf?
Wissenschaftlich betrachtet gehört das Alongshan-Virus wie auch das durch Zecken übertragbare FSME-Virus, sprich Frühsommer-Meningoenzephalitis-Virus, ebenso wie das durch Mücken übertragbare Zika-, Dengue- oder West-Nil-Virus zur Familie der Flaviviren. Erstmals aufgetaucht ist das ALS-Virus im Jahr 2017 in der Inneren Mongolei. Es wurde damals entdeckt, nachdem mehrere Personen infolge eines Zeckenstichs typische FSME-Symptome wie Fieber und Kopfschmerzen gezeigt hatten. Im Blut der Patienten liessen sich aber weder FSME-Viren noch Antikörper nachweisen. Ob das ALS-Virus nun tatsächlich für die FSME-typischen Symptome verantwortlich war, konnte bisher noch nicht klar bewiesen werden.
Wie ist der aktuelle Stand der Forschung zur Verbreitung des neuen Zeckenvirus?
Wir konnten das ALS-Virus bereits in unterschiedlichen Regionen der Schweiz nachweisen – sowohl in ländlichen als auch urbanen Gebieten. Zecken, die wir in der Stadt Zürich am Käferberg in der Nähe des Stadtspitals Waid gefunden haben, tragen das neue Virus bereits in sich. Erstaunt hat uns bei den bisher gesammelten Proben vor allem, dass wir bei Zecken das ALS-Virus weit häufiger nachweisen konnten als das FSME-Virus.
Da wir das neue Zeckenvirus bereits derart oft nachweisen konnten, ist es daher möglich, dass in der Schweiz eine Reservoir-Wirtegruppe wie etwa Wildtiere existiert. In Deutschland beispielsweise konnten Forscher das Virus bereits bei Rehen nachweisen. Zudem ist es denkbar, dass bei der Verbreitung des Virus auch Nagetiere eine Rolle spielen.
Wie gefährlich das neue Zeckenvirus tatsächlich ist, werden erst zukünftige Studien und Untersuchungen zeigen können. Da es für das ALS-Virus bisher noch keine zuverlässige Nachweismethode gibt, ist es schwierig zu sagen, ob und wie viele Fälle des ALS-Virus es in der Schweiz bereits gibt. In den vergangenen Monaten ist es uns aber gelungen, einen serologischen Test zu entwickeln, mit dem es künftig möglich sein wird, Antikörper gegen das neue ALS-Virus im Blut nachzuweisen. Bestenfalls wird der Test noch in diesem Jahr zur Anwendung kommen.
Umgangssprachlich ist oft die Rede von einem Zeckenbiss ...
Aus wissenschaftlicher Sicht ist es nicht korrekt, von einem Zeckenbiss zu sprechen, da Zecken nicht beissen, sondern stechen. Nachdem sich die Parasiten an ihren Wirt geklammert haben, schneiden sie mit ihrem scherenartigen Mundwerkzeug die Haut zwar auf, stechen dann aber mit ihrem Stechrüssel zu, um das Blut zu saugen. Daher auch die umgangssprachliche Bezeichnung «Blutsauger».