Home Region Sport Magazin Schweiz/Ausland
Stadt Zürich
12.05.2023
12.05.2023 09:01 Uhr

«Zecken in der Stadt Zürich tragen das neue Virus bereits in sich»

«Zecken gehören zu den grössten Verbreitern von Infektionskrankheiten», sagt der Zürcher Virologe Cornel Fraefel, Leiter des Virologischen Instituts der Universität Zürich, der erst kürzlich mit seinem Team ein hierzulande neues Zecken-Virus entdeckt hat.
«Zecken gehören zu den grössten Verbreitern von Infektionskrankheiten», sagt der Zürcher Virologe Cornel Fraefel, Leiter des Virologischen Instituts der Universität Zürich, der erst kürzlich mit seinem Team ein hierzulande neues Zecken-Virus entdeckt hat. Bild: Fotomontage: Lokalinfo/rad, Bilder: zecken-stich.ch
Zecken sind derzeit wieder auf dem Vormarsch – auch in der Stadt Zürich. Der Virologe Cornel Fraefel, Leiter des Virologischen Instituts der Universität Zürich, warnt davor, «Zeckenbisse» zu bagatellisieren. Darüber hinaus bereitet ihm ein hierzulande neuartiges Zeckenvirus Sorgen.

Dominique Rais

Herr Cornel Fraefel, Sie sind Virologe und Leiter des Virologischen Instituts der Universität Zürich und haben zusammen mit Ihrem Team vor wenigen Monaten ein hierzulande neuartiges Zeckenvirus entdeckt: das Alongshan-­Virus (ALSV). Wo liegt dessen Ursprung und inwiefern weist das neue Virus Parallelen zu in der Schweiz bereits gängigen, durch Zecken über­tragbaren Krankheitserregern auf?

Wissenschaftlich betrachtet gehört das Alongshan-­Virus wie auch das durch Zecken übertragbare FSME-Virus, sprich Frühsommer-Meningo­enzephalitis-Virus, ebenso wie das durch Mücken übertragbare Zika-, Dengue- oder West-Nil-Virus zur Familie der Flavi­viren. Erstmals auf­getaucht ist das ALS-Virus im Jahr 2017 in der Inneren Mongolei. Es wurde damals entdeckt, nachdem mehrere Personen infolge eines Zeckenstichs typische FSME-­Symptome wie Fieber und Kopfschmerzen gezeigt hatten. Im Blut der Patienten liessen sich aber weder FSME-­Viren noch Antikörper nachweisen. Ob das ALS-Virus nun tatsächlich für die FSME-­typischen Symptome verantwortlich war, konnte bisher noch nicht klar bewiesen werden.

Wie ist der aktuelle Stand der Forschung zur Verbreitung des neuen Zeckenvirus?
Wir konnten das ALS-Virus bereits in unterschiedlichen Regionen der Schweiz nachweisen – sowohl in ländlichen als auch urbanen Gebieten. Zecken, die wir in der Stadt Zürich am Käferberg in der Nähe des Stadtspitals Waid gefunden haben, tragen das neue Virus bereits in sich. Erstaunt hat uns bei den bisher gesammelten Proben vor allem, dass wir bei Zecken das ALS-Virus weit häufiger nachweisen konnten als das FSME-Virus.

Da wir das neue Zeckenvirus bereits derart oft nachweisen konnten, ist es daher möglich, dass in der Schweiz eine Reservoir-Wirtegruppe wie etwa Wildtiere existiert. In Deutschland beispielsweise konnten Forscher das Virus bereits bei Rehen nachweisen. Zudem ist es denkbar, dass bei der Verbreitung des Virus auch Nagetiere eine Rolle spielen.

Wie gefährlich das neue Zeckenvirus tatsächlich ist, werden erst zukünftige Studien und Untersuchungen zeigen können. Da es für das ALS-­Virus bisher noch keine zu­verlässige Nachweismethode gibt, ist es schwierig zu sagen, ob und wie viele Fälle des ALS-Virus es in der Schweiz bereits gibt. In den vergangenen Monaten ist es uns aber gelungen, einen serolo­gischen Test zu entwickeln, mit dem es künftig möglich sein wird, Antikörper gegen das neue ALS-Virus im Blut nachzuweisen. Bestenfalls wird der Test noch in diesem Jahr zur Anwendung kommen.

Umgangssprachlich ist oft die Rede von einem Zeckenbiss ...
Aus wissenschaftlicher Sicht ist es nicht korrekt, von einem Zeckenbiss zu sprechen, da Zecken nicht beissen, sondern stechen. Nachdem sich die Parasiten an ihren Wirt geklammert haben, schneiden sie mit ihrem scherenartigen Mundwerkzeug die Haut zwar auf, stechen dann aber mit ihrem Stechrüssel zu, um das Blut zu saugen. Daher auch die umgangssprachliche Bezeichnung «Blutsauger».

  • Adulte Zecken werden bis zu 5 Millimeter, voll- gesogene Weibchen bis zu 15 Millimeter gross. Bild: zecken-stich.ch
    1 / 4
  • «Zecken gehören zu den grössten Verbreitern von Infektionskrankheiten», sagt der Zürcher Virologe Cornel Fraefel, Leiter des Virologischen Instituts der Universität Zürich, der erst kürzlich mit seinem Team ein hierzulande neues Zecken-Virus entdeckt hat. Bild: zecken-stich.ch
    2 / 4
  • Zecken sind fast überall zu finden: nicht nur in Wäldern, sondern auch in urbanen Gebieten. Bild: zecken-stich.ch
    3 / 4
  • Der Lebenszyklus einer Zecke dauert im Schnitt drei bis sechs Jahre. Zwischen jeder Reifephase benötigt sie je eine Blutmahlzeit, um sich weiterentwickeln zu können. Bild: zecken-stich.ch
    4 / 4

Wie die meisten Kantone gilt auch Zürich als Zecken-Risikogebiet. Gilt das auch für das Zürcher Stadtgebiet?
Zecken sind fast überall zu finden, wobei Waldränder, aufgrund der dort lebenden Tiere und der damit einhergehenden Fülle an Wirten, zum bevorzugten Lebens­raum von Zecken gehören. Entgegen der weitverbreiteten Annahme, dass Zecken nur in Wäldern und Wiesen vorkommen, ist mittlerweile bekannt, dass sie auch vermehrt in der Stadt anzutreffen sind. Ob daheim im Garten oder in städtischen Parkanlagen, sogar auf Gräsern, Büschen und Sträuchern am Strassenrand können sie vorkommen.

Mit dem milderen Wetter sind die Leute wieder vermehrt in die Natur unterwegs, wo die Zecken lauern. Wie schätzen Sie die diesjährige Zecken-­Saison ein?
Aufgrund der milden Winter­monate muss in diesem Sommer mit besonders vielen Zecken gerechnet werden – und das nicht nur in ländlichen, sondern eben auch in urbanen Gebieten wie etwa in der Stadt Zürich. Generell zeigen die Beobachtungen der vergangenen Jahre, dass das Zeckenvorkommen stetig zu­genommen hat. Das hat auch unsere Feldstudie bestätigt, bei der wir in den vergangenen Jahren mit Hilfe der Flagging-Methode das Zeckenvor­kommen in unter­schiedlichen Gebieten der Schweiz gemessen haben. Dabei haben wir ein an einem Stock befestigtes, einen Quadrat­meter grosses Tuch entlang einer 100 Meter langen Wegstrecke über Boden, Gräser und Büsche gezogen, um so die Zeckendichte auf einem 200 Quadratmeter grossen Gebiet zu messen. Im Kanton Zürich fanden die Messungen an drei Standorten statt, unter anderem beim Waidspital in Zürich.

Welche Risiken birgt ein Zeckenstich?
Zecken gehören zu den grössten Verbreitern von Infektionskrankheiten. Die bekanntesten von Zecken übertragbaren Erreger sind die Borrelien-Bakterien, die zu einer Borreliose führen, sowie die FSME-­Viren, die eine Frühsommer-Meningo­enzephalitis zur Folge haben können. Da­rüber hinaus gibt es aber noch zahlreiche andere Krankheiten, die von Zecken übertragen werden, etwa die durch das Bakterium Francisella tularensis verursachte Tularämie. Wenn auch vergleichsweise selten, ist die Zahl der als Hasen­pest bekannten Krankheitsfälle in den ver­gangenen Jahren dennoch gestiegen.

Wie gross ist die Gefahr einer Infektionskrankheit infolge eines Zeckenstichs?
Es gibt Studien, denen zufolge 19 bis 26 Prozent der Schweizer Zecken positiv auf Borrelien getestet wurden. Der Anteil der Zecken, bei denen das FSME-Virus entdeckt wurde, liegt schweizweit bei 1 bis 2 Prozent, wobei wir bei unserer Studie auf bis zu 4 Prozent kamen. Der Anteil der Zecken, die als Überträger des ALS-­Virus fungieren, ist höher als bei jenen mit FSME, aber dennoch im einstelligen Prozent­bereich. Somit sind 30 Prozent der Schweizer Zecken Träger von Borrelien, ALS- und FSME-Viren verantwortlich. Doch es gibt noch weit mehr durch Zecken übertragbare Erreger, vor allem Bakterien. De facto tragen über 70 Prozent der Zecken in der Schweiz Krankheitserreger.

Was kann man tun, um sich gegen Zecken­stiche zu schützen?
Schon die Wahl der richtigen Kleidung, wie von langen Hosen und geschlossenen Schuhen, kann helfen, das Risiko eines Zeckenstichs zu mindern, wenn man in der Natur unterwegs ist. Darüber hinaus gibt es als Präventivmassnahme auch die Möglichkeit, sich gegen FSME zu impfen. Die Impfung ist besonders für Menschen, die häufig in der Natur unterwegs sind, empfehlenswert. Allerdings schützt sie nicht gegen das neue ALS-Virus.

Für Borreliose oder die Hasenpest, die schlimmsten­falls tödlich sein kann, gibt es keine Impfung. Wird die bakterielle Infektion früh genug erkannt, kann sie mit Antibiotika kuriert werden. Da sich Zecken an Haut oder Kleidung fest­klammern, sollte man sich, nachdem man in der Natur unterwegs war, sicherheitshalber un­bedingt absuchen.

Wenn man trotz allem von einer Zecke gestochen wurde ...
Dann sollte man die Zecke umgehend entfernen und die Einstichstelle beobachten. Sobald sich Anzeichen wie Grippe­symptome, Kopfweh oder eine Wanderröte um den Stich zeigen, sollte man umgehend einen Arzt aufsuchen. Viele Zecken tragen Pathogene in sich, dass sie aber tatsächlich eine Krankheit ver­ursachen, ist selten. Dennoch darf man es nicht bagatellisieren. Ein Zeckenstich ist und bleibt gefährlich.

Zeckenstich? So wird der Blutsauger korrekt entfernt

Nebst Menschen laufen insbesondere Haustiere Gefahr, von Zecken gestochen zu werden, da sie auf ihren Streifzügen durch die Natur nicht selten in das Revier der blutsaugenden Parasiten vordringen. Tatsächlich sind Hunde und Katzen deutlich häufiger von Zecken­stichen betroffen als Menschen. Ob bei Mensch oder Tier: Wird ein Zeckenstich entdeckt, gilt es rasch zu handeln. Denn je länger der Parasit die Möglichkeit hat, an seinem Wirt zu saugen, desto grösser ist die Gefahr einer Infektion.

Mit einer Zeckenzange oder Pinzette können die Blutsauger einfach entfernt werden. Dabei gilt es darauf zu achten, dass die Zecke möglichst nahe an der Haut gepackt und dann mit einer Drehbewegung entfernt wird. Auf die Verwendung von Hausmitteln wie Kleber, Alkohol oder dergleichen sollte bei der Zeckenent­fernung verzichtet werden, da damit das Risiko einer Infektion durch das Absondern von weiteren Krankheitserreger erhöht würde.

Da die Blutsauger als äusserst resistent gelten, raten Experten davon ab, die Zecke nach dem Entfernen einfach in der Toilette oder im Lavabo herunterzuspülen. Stattdessen sollte die Zecke zerdrückt und so unschädlich gemacht werden. (rad.)

Weitere Informationen rund ums Thema Zecken unter: zecken-stich.ch

Auf Zack mit der «Zecke»-App

Die kostenlose App «Zecke» liefert eine dynamische Gefahrenkarte der Zecken-­Risikogebiete. Darüber hinaus bietet die App nützliche Tipps rund ums Thema Zecken. Auch ist es mit der App möglich, ein Zeckenstich­tagebuch zu führen, um so etwaige Symptome rasch zu erkennen und reagieren zu können. Entwickelt wurde die App bereits im Jahr 2015 von Forschenden der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) mit Unter­stützung des Bundesamts für Gesundheit (BAG). (rad)

Dominique Rais
Demnächst