Lorenz Steinmann
«Man kann fragen, wen man will, alle nicken zustimmend wie Wackeldackel: Die Atmosphäre im Strassenverkehr ist vergiftet, das Klima aufgeheizt, die Stimmung gereizt. Autos, Busse, Velos, Trams und tausend Füsse – nicht immer einfach, dass alle aneinander vorbeikommen im Gewusel einer Stadt. Es wird geflucht, es wird gehupt und so manchem Verkehrsteilnehmer scheint dann und wann die Pleuelstange im Gehirn zu blockieren.» Das schreibt Max Küng im aktuellen «Magazin». Er ist bekennender «Gümmeler», also Rennvelofahrer und gleichzeitig Autofan, der stundenlang in Occasionslisten (Vorliebe: Audi Quattro) herumschmökern kann.
Grosse Zunahme nur bis 2015
Es ist aber nicht nur die Atmosphäre, es ist auch die fehlende Sicherheit, zumindest für Velofahrerinnen und Velofahrer. Der Verband Pro Velo schreibt dazu, dass demzufolge der Veloverkehr sogar zurückgeht in Zürich. «Die Auswertung des Mikrozensus Mobilität durch die Universität Lausanne ergibt kein gutes Bild der grössten Schweizer Stadt.» Nachdem sich die Velonutzung zwischen den Jahren 2010 und 2015 verdoppelt habe, kam die Zunahme danach zum Erliegen. Mehr noch: Zwischen 2015 und 2021 ist der Anteil des Veloverkehrs am Gesamtverkehr sogar zurückgegangen. «Aktuell wird etwas mehr als jede zehnte Strecke in der Stadt mit dem Fahrrad zurückgelegt. Hätte die Stadt Zürich in ihrer ‹Velostrategie 2030› ein konkretes Ziel zum Modalsplit definiert, was sie nicht hat, so wäre dessen Erreichung aktuell infrage gestellt», so Pro Velo.
Ins gleiche Horn bläst die Organisation umverkehR. Sie kritisiert den Stadtrat, weil dieser mitgeteilt hat, die Ziele der 2011 angenommenen «Städte-Initiative» aktuell nicht erreichen zu können. «umverkehR ist sehr enttäuscht über das Resultat. Die Stadt macht es sich aber zu einfach, indem sie die Schuld allein auf Corona abschiebt. Es war bereits absehbar, dass die Ziele verfehlt werden. Ausserdem hat es die Stadt während Corona versäumt, mit beispielsweise Pop-up-Velowegen den Verkehr auf sinnvolle Bahnen zu lenken», so Geschäftsführer Silas Hobi in einer Stellungnahme. Die Zahlen zeigten schonungslos auf, dass die Verwaltung den gesetzlichen Auftrag nicht ernst genommen habe. «Die Förderung des ÖV, Fuss- und Veloverkehrs ging in den letzten zehn Jahren viel zu zögerlich voran», findet Hobi.
Dabei kann es die Stadt eigentlich niemandem recht machen. Kritik prasselte auf sie nieder nach der Eröffnung der ersten Veloschnellroute vom Helvetiaplatz nach Altstetten. Die einen nervten sich an den gegen 200 abgebauten Parkplätzen. Die anderen schimpften, dass ja immer noch Autos auf den Fahrbahnen herumfuhren. Und die dritten monierten, dass die normierte Breite von 4,8 Metern Fussgänger und im Besonderen Schülerinnen und Schüler an den Rand drängen würde. Kein Wunder, sind mehrere geplante Routen durch Einsprachen blockiert. Etwa in Affoltern, Oerlikon, Wollishofen und in Oberstrass. Zoff programmiert ist zudem beim Megaprojekt Franklinplatz (Oerlikon)–Forchstrasse (Hirslanden). Diese Velovorzugsroute führt von Oerlikon über Irchelpark, Scheuchzerstrasse, Uni-Spital, Freiestrasse bis Forchstrasse. Allein hier werden 289 Parkplätze zugunsten der Veloroute aufgehoben.
Betonstopp am Stadelhoferplatz
Bei der Veloroute auf der Achse Mühlebachstrasse beim Stadelhofen und der Zollikerstrasse im Seefeld hingegen ist die Planung gestartet, nach zwei Jahren Gezanke vor Gericht. Doch hier hat sich die Stadt selber Probleme aufgehalst. Denn aktuell endet die Veloroute beim Stadelhofen in einer Betonwand. Es ist das Fundament für einen Baukran für das Gebäude «Haus zum Falken» von Architekt Santiago Calatrava. Hier begegnen sich alle Verkehrsteilnehmenden (inklusive Forchbahn) auf engstem Raum. Autos würden aufs Trottoir geleitet, Velos aufs Trottoir, so Yvonne Ehrensberger von Pro Velo zum «Tages-Anzeiger». Ob sich die Situation mit dem Bauende 2025 verbessere, sei ungewiss, so Ehrensberger. Denn dann beginnt der Ausbau des Bahnhofs Stadelhofen auf vier Geleise. Bauende: Nicht vor 2037.
Doch nicht alle sehen das Veloproblem als so vordergründig. Andreas Häuptli, Geschäftsführer TCS Sektion Zürich, findet, es gelte Augenmass zu halten. Der Strassenraum sei knapp. Aber: Der motorisierte Individualverkehr leiste gut fünf Mal mehr Kilometer als der ÖV und rund zwölf Mal mehr als der Langsamverkehr. «Die Fakten sprechen eine klare Sprache», so Häuptli im «Touring-Magazin».