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Stadt Zürich
14.06.2023
15.06.2023 15:34 Uhr

Der schwierige Gesetzesauftrag, den Veloverkehr zu fördern, vergrault fast alle

Die beengenden und oft gefährlichen Verhältnisse beim Stadelhofen sind typisch für Zürich. Vertreter von Lobbyorganisationen kritisieren, dass die Stadt Fussgängern und Velofahrern nicht mehr Platz einräumt.
Die beengenden und oft gefährlichen Verhältnisse beim Stadelhofen sind typisch für Zürich. Vertreter von Lobbyorganisationen kritisieren, dass die Stadt Fussgängern und Velofahrern nicht mehr Platz einräumt. Bild: Lorenz Steinmann
Es gab wohl schon gegen zehn angenommene Volksinitiativen mit dem Ziel, den Veloverkehr zu fördern. Doch eine eben veröffentlichte Statistik zeigt, dass die Zahl der Velofahrerinnen und Velofahrer eher rückläufig ist in Zürich. Einer der Gründe: Für viele Leute ist der Umstieg schlicht zu gefährlich.

Lorenz Steinmann

«Man kann fragen, wen man will, alle nicken zustimmend wie Wackeldackel: Die Atmosphäre im Strassenverkehr ist vergiftet, das Klima aufgeheizt, die Stimmung gereizt. Autos, Busse, Velos, Trams und tausend Füsse – nicht immer einfach, dass alle aneinander vorbeikommen im Gewusel einer Stadt. Es wird geflucht, es wird gehupt und so manchem Verkehrsteilnehmer scheint dann und wann die Pleuelstange im Gehirn zu blockieren.» Das schreibt Max Küng im aktuellen «Magazin». Er ist bekennender «Gümmeler», also Rennvelofahrer und gleichzeitig Autofan, der stundenlang in Occasions­listen (Vorliebe: Audi Quattro) herumschmökern kann.

Grosse Zunahme nur bis 2015

Es ist aber nicht nur die Atmosphäre, es ist auch die fehlende Sicherheit, zumindest für Velofahrerinnen und Velofahrer. Der Verband Pro Velo schreibt dazu, dass demzufolge der Veloverkehr sogar zurückgeht in Zürich. «Die Auswertung des Mikrozensus Mobilität durch die Universität Lausanne ergibt kein gutes Bild der grössten Schweizer Stadt.» Nachdem sich die Velonutzung zwischen den Jahren 2010 und 2015 verdoppelt habe, kam die Zunahme danach zum Erliegen. Mehr noch: Zwischen 2015 und 2021 ist der Anteil des Veloverkehrs am Gesamtverkehr sogar zurückgegangen. «Aktuell wird etwas mehr als jede zehnte Strecke in der Stadt mit dem Fahrrad zurückgelegt. Hätte die Stadt Zürich in ihrer ‹Velostrategie 2030› ein konkretes Ziel zum Modalsplit definiert, was sie nicht hat, so wäre dessen Erreichung aktuell infrage gestellt», so Pro Velo.

Ins gleiche Horn bläst die Organisation umverkehR. Sie kritisiert den Stadtrat, weil dieser mitgeteilt hat, die Ziele der 2011 angenommenen «Städte-Initiative» aktuell nicht erreichen zu können. «umverkehR ist sehr enttäuscht über das Resultat. Die Stadt macht es sich aber zu einfach, indem sie die Schuld allein auf Corona abschiebt. Es war bereits absehbar, dass die Ziele verfehlt werden. Ausserdem hat es die Stadt während Corona versäumt, mit beispielsweise Pop-up-Velowegen den Verkehr auf sinnvolle Bahnen zu lenken», so Geschäftsführer Silas Hobi in einer Stellungnahme. Die Zahlen zeigten schonungslos auf, dass die Verwaltung den gesetzlichen Auftrag nicht ernst genommen habe. «Die Förderung des ÖV, Fuss- und Veloverkehrs ging in den letzten zehn Jahren viel zu zögerlich voran», findet Hobi.

Dabei kann es die Stadt eigentlich niemandem recht machen. Kritik prasselte auf sie nieder nach der Eröffnung der ersten Veloschnellroute vom Helvetiaplatz nach Altstetten. Die einen nervten sich an den gegen 200 abgebauten Parkplätzen. Die anderen schimpften, dass ja immer noch Autos auf den Fahrbahnen herumfuhren. Und die dritten monierten, dass die normierte Breite von 4,8 Metern Fussgänger und im Besonderen Schülerinnen und Schüler an den Rand drängen würde. Kein Wunder, sind mehrere geplante Routen durch Einsprachen blockiert. Etwa in Affoltern, Oerlikon, Wollishofen und in Oberstrass. Zoff programmiert ist zudem beim Megaprojekt Franklinplatz (Oerlikon)–Forchstrasse (Hirslanden). Diese Velovorzugsroute führt von Oerlikon über Irchelpark, Scheuchzerstrasse, Uni-Spital, Freiestrasse bis Forchstrasse. Allein hier werden 289 Parkplätze zugunsten der Veloroute aufgehoben.

Betonstopp am Stadelhoferplatz

Bei der Veloroute auf der Achse Mühlebachstrasse beim Stadelhofen und der Zollikerstrasse im Seefeld hingegen ist die Planung gestartet, nach zwei Jahren Gezanke vor Gericht. Doch hier hat sich die Stadt selber Probleme aufgehalst. Denn aktuell endet die Veloroute beim Stadelhofen in einer Betonwand. Es ist das Fundament für einen Baukran für das Gebäude «Haus zum Falken» von Architekt Santiago Calatrava. Hier begegnen sich alle Verkehrsteilnehmenden (inklusive Forchbahn) auf engstem Raum. Autos würden aufs Trottoir geleitet, Velos aufs Trottoir, so Yvonne Ehrensberger von Pro Velo zum «Tages-Anzeiger». Ob sich die Situation mit dem Bauende 2025 verbessere, sei ungewiss, so Ehrensberger. Denn dann beginnt der Ausbau des Bahnhofs Stadelhofen auf vier Geleise. Bauende: Nicht vor 2037.

Doch nicht alle sehen das Veloproblem als so vordergründig. Andreas Häuptli, Geschäftsführer TCS Sektion Zürich, findet, es gelte Augenmass zu halten. Der Strassenraum sei knapp. Aber: Der motorisierte Individualverkehr leiste gut fünf Mal mehr Kilometer als der ÖV und rund zwölf Mal mehr als der Langsamverkehr. «Die Fakten sprechen eine klare Sprache», so Häuptli im «Touring-Magazin».

Veloförderung? Das sind die Vorzeige-Projekte der Stadt

Auf Anfrage sind laut dem Tiefbauamt die folgenden umgesetzten Veloförderungsmassnahmen die «Top-Five» in Zürich – neben der kürzlich eröffneten Veloroute Helvetiaplatz–Altstetten:

1. Velostationen in Oerlikon und Europaplatz

2. Unmittelbar nach der Einführung Anfang Januar 2021 hat die Stadt Rechtsabbiegen bei Rot an vielen Kreuzungen erlaubt.

3. Unterführung Langstrasse

4. Bis zu vier Meter breiter Zweirichtungsradweg am Mythenquai

5. Dazu kommen «eine Vielzahl an Sofortmassnahmen»

In Zukunft weitere Velovorzugsrouten, der Velotunnel, die autoarme Langstrasse, die Velostation im Haus zum Falken und weitere Projekte für das Velo. (red)

«Velostreifen markieren würde falsche Sicherheit vermitteln»

Es ist ein Beispiel von vielen. Während Wochen war an der stark befahrenen Kornhausstrasse der Veloweg talwärts gesperrt  – wegen Bauarbeiten rund um die Fernwärme. Ohne Abbremsen und einen beherzten Blick nach hinten war das Ausweichen auf die Fahrbahn ein (zu) grosses Risiko, überfahren zu werden. Warum signalisierte die Stadt den Engpass nicht besser? Warum wurde am Boden kein (provisorischer) Veloweg eingezeichnet? Evelyne Richiger, als Mediensprecherin des Tiefbauamts auch für Velobelange zuständig, gab folgende Antwort: «Die provisorische Verkehrsführung ist ein ständiges Traktandum an jeder Bausitzung. Die Bauleitung, aber auch die zuständigen städtischen Vertreterinnen und Vertreter (Tiefbauamt, Dienstabteilung Verkehr, Werke), überprüfen die provisorische Verkehrsführung regelmässig und nehmen wenn nötig Anpassungen vor.» Im Bereich einer signalisierten Baustelle müsse mit Hindernissen gerechnet werden, so Richiger weiter. Die Verkehrsteilnehmenden müssten dementsprechend vorsichtig fahren und ihre Geschwindigkeit anpassen. «Wenn es die Platzverhältnisse nicht zulassen (verbleibende Fahrbahn zu schmal), kann kein Velostreifen markiert werden, das würde eine falsche Sicherheit vermitteln. Dies ist auch bei dem genannten der Fall.» Die Baustelle sei ordnungsgemäss signalisiert. Und die Velofah­renden müssten sich in den Verkehr ­einfädeln, wie sie es auch müssten, wenn sie vom Trottoir herunter- oder aus einer Einfahrt herausfahren (ls)

Lorenz Steinmann
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