Home Region Sport Magazin Schweiz/Ausland
Stadt Zürich
03.02.2024
06.02.2024 16:41 Uhr

Kunststoff für nachhaltige Wärme

Davon braucht es für den Ausbau 80 Kilometer: Ein Lager mit Rohren vor der Josefskirche im Industriequartier für in Zukunft ferngewärmte gute Stuben (Aufnahme Ende Januar 2024).
Davon braucht es für den Ausbau 80 Kilometer: Ein Lager mit Rohren vor der Josefskirche im Industriequartier für in Zukunft ferngewärmte gute Stuben (Aufnahme Ende Januar 2024). Bild: Tobias Hoffmann
Unübersehbar schreitet der Ausbau der Fernwärme voran. Viele aber fragen sich, ob eine so aufwendige Infrastruktur umweltfreundlich sein kann. Woraus bestehen zum Beispiel die Rohre des Leitungssystems? Wir haben bei ERZ nachgefragt.

Tobias Hoffmann

Es sind ziemlich wuchtige Rohre, die sich da stapeln. Wer sich häufig im Kreis 5 ­bewegt, kann seit geraumer Zeit die stetigen Fortschritte des Fernwärmeausbaus verfolgen: Stück für Stück verschwinden die Rohre im Untergrund der Heinrichstrasse, wo eine der grossen Haupterschliessungsleitungen zu liegen kommt. An ihr wird im Rahmen der ersten von vier Grob­erschliessungstappen 2020 bis 2025 gearbeitet (vgl. Karte). Am gestapelten Material lässt sich ermessen, was der Fernwärmeausbau eben auch bedeutet: den Einsatz grosser Materialmengen, die viel graue Energie benötigen, ganz abgesehen vom grossen Energieeinsatz beim Verlegen der Rohre.

Themenkarte T6 der kommunalen Energieplanung: Die Groberschliessung an der Heinrichstrasse ist unten links zu sehen (lilafarbene Linie). Bild: Stadt Zürich / ERZ

Das grösste bestehende Fernwärmenetz wird zurzeit von Entsorgung und Recycling Zürich (ERZ) ausgebaut. Es wird am Ende rund 230 Kilometer lang sein, gegenüber 150 Kilometern vor der Erweiterung; dazu kommen dann die zahlreichen Abzweigungen zu den einzelnen Endnutzern. Die gewaltige unterirdische Infrastruktur, die dafür nötig ist, haben wir in dieser Zeitung am Beispiel des grossen Verbindungsbauwerks zwischen den Netzen Zürich-Nord und Zürich-West in Oberstrass fassbar gemacht («Mit Fernwärmenetz zum Klimaziel», November 2022).

Damit sich der ganze Aufwand lohnt, muss die Energie an der Quelle nachhaltig sein. Am besten wäre es, die Abwärme zum Beispiel von Serverfarmen, anderen Grossverbrauchern oder der Kanalisation zu nutzen. In Zürich ist die ­Abfallverbrennung die zentrale Wärmequelle. Die Abwärmenutzung gilt laut Stadt als klimaneutral, obwohl bei der Verbrennung viel CO₂ entsteht. Nicht allen geht es in den Kopf, dass eine auf diese Weise generierte Fernwärme dazu beiträgt, das Netto-Null-Ziel der Stadt Zürich zu erreichen.

60 Jahre lang haltbar

Aber nun zurück zu den Rohren: Erkennbar auf dem Bild und auf der Querschnittskizze ist, dass sie aus grossen Mengen Kunststoff bestehen. Wir wollten es ein bisschen genauer wissen. Tobias Nussbaum von ERZ hat uns ein paar Angaben zu den Rohren geliefert. Was die graue Energie betrifft, sei der Wert abhängig vom Rohrtyp bzw. -umfang. Bei einer Haupterschliessungsleitung rechnet ERZ mit 393 Kilo­gramm CO₂-Äquivalenten pro Meter. Auf die 80 Kilometer zusätzliches Netz hochgerechnet wären das knapp 31 500 Tonnen CO₂-Äqui­valente. Die Rohre bestehen aus einem inneren Stahlrohr, einer Dämmung aus Polyurethanschaum und einer Kunststoffummantelung aus Polyethylen plus einer Diffusionsfolie aus Aluminium. Die Bestandteile der Rohre seien alle rezyklierbar, hält Nussbaum fest.

Frisch verlegte Rohre an der Heinrichstrasse (Aufnahme von Ende Januar 2024). Bild: Tobias Hoffmann

Bei der Haltbarkeit der Rohre geht ERZ von einer Lebensdauer von 60 Jahren aus. Ein langfristiger Nachschub sei gewährleistet, so Nussbaum, da es sich um genormte Produkte handle. Der Wartungsaufwand für das Netz sei gering. «Es gibt zugängliche Orte wie Kammern und begehbare Kanäle», sagt er. Die Rohre würden halbjährlich durch Mitarbeitende des Netzbaus inspiziert.

Und nun die Gretchenfrage zum Schluss: Kommen die Rohre aus China? Was verbirgt sich hinter dem Firmennamen Logstor, den man auf den Rohren erkennen kann? Eine kurze Recherche im Netz zeigt, dass es sich um eine dänische Firma handelt. Aber wo produziert sie in Realität? Nussbaum versichert, Logstor produziere an diversen Fabrikationsstandorten in Europa. Ob aber alle Komponenten wirklich aus Europa kommen und den Unsicherheiten der glo­balen Lieferketten entzogen sind? Diese Frage muss offen bleiben.

Grosse Einsparungen

Die Stadt jedenfalls macht eine positive Rechnung auf: Durch die Wärme­versorgung im ERZ-Fernwärmenetz wurden gemäss Nussbaum bislang gegenüber einem reinen Öleinsatz jährlich 200 000 Tonnen CO₂ eingespart. Nach Abschluss des Ausbaus rechnet die Stadt mit zusätzlichen Einsparungen von etwa 36 000 Tonnen CO₂ pro Jahr. Demnach wäre die in der Ausbauinfrastruktur steckende graue Energie bereits in einem knappen Jahr kompensiert.

Die an der Heinrichstrasse im Kreis 5 verbauten Rohre haben einen Durchmesser von 0,5 Metern. Bild: Tobias Hoffmann

Es bleiben Zweifel, ob sich Fernwärme ökologisch und finanziell langfristig in jedem Fall rechnen wird. Sicher ist, dass es noch für Jahrzehnte reichlich Siedlungsabfälle geben wird und dass es besser ist, diese Abfälle in nützliche Energie umzuwandeln, anstatt sie zu deponieren. Allerdings ist die Dynamik bei den technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen schwer einzuschätzen.

Wenn jedenfalls im Jahr 2050 die ­Energieversorgung völlig anders gestaltet sein sollte als heute, sitzt die Stadt Zürich auf einem Hunderte Millionen Franken teuren Rohrsystem, für das neue Wärmequellen gesucht werden müssen. Und seit den Erfahrungen im Ukrainekrieg rückt ein anderer Aspekt in den Blick: Es scheint riskant, auf zentrale Energielösungen zu setzen, die bei einem Raketenvolltreffer den Ausfall der Versorgung für Hunderttausende zur Folge haben.

Tobias Hoffmann/Zürich24
Demnächst