Lorenz von Meiss
Als die weltberühmten Spielfiguren Mario und Bruder Luigi Mitte der achtziger Jahre ihren Siegeszug in der Welt der Videospiele antraten, stammten fast alle Neuerscheinungen der Gameindustrie aus Japan. Grosse Firmen wie Nintendo, Sega oder Atari brachten in dieser Zeit Heimkonsolen auf den Markt, die es den Spielenden erlaubten, ihrer Freude an Videospielen nicht mehr nur in Spielhallen, sondern in den eigenen vier Wänden nachzugehen.
Mit dem Nintendo Entertainment System (NES) brachte Nintendo 1985 eine Spielkonsole auf den Markt, die sich weltweit über 60 Millionen Mal verkaufte und über Jahre hinweg als Nonplusultra in der Welt der Videospiele galt. Während die Anzahl Entwickler und die ihrer Produkte damals einigermassen überschaubar war, wird der Markt heute von neuen Spielen regelrecht überschwemmt. Gleichzeitig sitzen die Gamedesigner und Programmierer nicht mehr nur in Fernost, sondern überall auf der Welt. Auch in Zürich.
Das elfköpfige Team der Firma «Stray Fawn Studio» (zu Deutsch streunendes Rehkitz) mit Sitz an der Zürcher Hohlstrasse gewann vor rund einem Jahr den deutschen Entwicklerpreis für das beste deutsche Spiel und machte so in der Szene auf sich aufmerksam. Das preisgekrönte Spiel «The Wandering Village» ist ein Stadtbausimulator, in dem der Spieler auf dem Rücken einer sechsbeinigen Kreatur, einem Onbu, eine Stadt errichten kann.
An der Entwicklung des Spiels beteiligt ist der in Küsnacht aufgewachsene Robin Bornschein. Als Gamedesigner ist er die kreative Ideenfabrik, die den Stoff für die Videospiele liefert. «Zu Hause habe ich eine Kiste voll mit Notizbüchern mit Spielideen von mir. Viele davon wurden aber nie realisiert», sagt er. Ist er von einer seiner Ideen aber besonders überzeugt, programmiert er kurzerhand einen Prototyp und teilt diesen mit Mitarbeitenden seines Teams und anderen Nutzern im Internet. Stellt sich heraus, dass die Testspieler Gefallen daran finden und mehr davon sehen wollen, geht der Prototyp in die Vorproduktion: «Der Prototyp muss bei den Testspielern gut ankommen, ansonsten ist das Projekt bereits gescheitert und wird nicht länger verfolgt», sagt Bornschein.
Fugen im Programmcode kitten
Als Gamedesigner ist Robin Bornschein zwar in der Lage, den Prototyp selbst zu programmieren, doch ist er für die Feinarbeit auf die Hilfe seiner Kollegin Naemi Matter angewiesen. Als professionelle Programmiererin sorgt sie dafür, dass der Prototyp des Spiels störungsfrei und ohne Verzögerung läuft. «Die Arbeit einer Programmiererin findet im Hintergrund statt. Wenn das Spiel plötzlich zu stocken beginnt, habe ich wohl irgendwo einen Fehler gemacht», sagt sie mit einem Lächeln auf den Lippen.
Zu ihren Aufgaben gehört auch die Erstellung der Benutzerschnittfläche. Dies sind die Bereiche, in denen der Spielende mit dem Game interagiert und beispielsweise durch Anklicken eine Aktion auslöst: «Solange der Benutzer sich nicht aufregt und das Spiel benutzerfreundlich ist, habe ich meine Arbeit gut gemacht», sagt sie weiter.
Wenn der Prototyp gefällt und sich die Programmierung bewährt, geht es um eine ansprechende visuelle Gestaltung des Games. Dies ist der Bereich der Grafikerin Stephanie Stutz. Sie hat den künstlerischen Part bei der Entwicklung des Spiels: «Überall dort, wo Robin und Naemi noch keine genaue Vorstellung der grafischen Umsetzung haben, setzen sie vorerst einen Platzhalter ein. Meine Aufgabe ist es, anstelle der Platzhalter visuell ansprechende und zum Spiel passende Grafiken zu gestalten», erklärt sie. Dabei zeichnet sie vorerst eine Skizze des gewünschten Objekts. Dies können Spielfiguren, Häuser oder ganze virtuelle Welten sein. Die gemachte Skizze stellt sie dem restlichen Team vor: «Dies ist ein sehr interaktiver Prozess, bei dem ich eng mit meinen Kollegen zusammenarbeite und auf ihr Feedback angewiesen bin», sagt die Grafikerin.
Neben den vorgestellten Arbeitsbereichen gibt es noch weitere, die für die Fertigstellung eines Videospiels notwendig sind. So gibt es jemanden im Team, der nur mit der Komposition von Musik und Klängen beschäftigt ist, die im Spiel zu hören sind: «Es wird oftmals unterschätzt, wie viele Disziplinen in der Gameindustrie ineinandergreifen», sagt Matter.
Robin Bornschein, Naemi Matter und Stephanie Stutz betonen im Gespräch immer wieder die flachen Hierarchien, die in der Firma gelten. Dies hat den Vorteil, dass Entscheidungen schnell getroffen werden können und die Kommunikationswege kurz sind: «Bei uns kann eigentlich jeder und jede dem anderen reinreden», sagt Matter. Dies ist bei einem elfköpfigen Team natürlich leichter möglich als bei einer riesigen Firma.
Premium-Games sorgen für Fairness
Wer schon einmal Stunden in den virtuellen Welten eines Videospiels verbracht hat, weiss, wie schnell die Zeit dort verfliegen kann. Spielende werden dann regelrecht in den Bann des Spiels gezogen und entwickeln ein problematisches Spielverhalten: «Wir diskutieren oft, wie viel Verantwortung wir Spielemacher gegenüber den Spielenden haben», sagt Matter.
Dass sich mit dem Entwickeln und Verkaufen von Videospielen riesige Summen erwirtschaften lassen, ist längst bekannt. Grosse Spielentwickler setzen darauf, dass sich die Spielenden während des Spielverlaufs beispielsweise neue Ausrüstung oder neue Spielwelten kaufen können. Dies kann dazu führen, dass sich Spieler immer mehr erkaufen wollen und die Kontrolle über ihre Ausgaben verlieren. «Whaling» nennt sich dies in der Fachsprache der Gamer. «Wir haben uns als Spieleentwickler bewusst dafür entschieden, nur Spiele auf den Markt zu bringen, die keine ausbeuterischen Monetarisierungsmodelle beinhalten», sagt die Programmiererin weiter.
So ist «The Wandering Village» beispielsweise ein sogenanntes Premium-Game. Dies bedeutet, dass die Kaufenden mit dem Erwerb des Spiels sämtliche Inhalte zur Verfügung gestellt bekommen und nie mehr etwas dafür zu zahlen haben. So ist sichergestellt, dass die Gamer mit der einmaligen Zahlung in den vollen Spielgenuss kommen und sich nicht durch immer weitere Zukäufe finanziell verausgaben.