Home Region Sport Magazin Schweiz/Ausland
Zürich West
09.04.2024
09.04.2024 14:00 Uhr

Bevor die Baumaschinen auffahren: Eine Ausstellung zum Abschied

Erst wenige der rund 90 Ausstellungswerke hängen schon an den Wänden. Die Stühle aber stehen alle bereit.
Erst wenige der rund 90 Ausstellungswerke hängen schon an den Wänden. Die Stühle aber stehen alle bereit. Bild: Lisa Maire
Die Altstetter Genossenschaftssiedlung Zwischenbächen befindet sich mitten im Umbruch: Die Häuser aus den 50er-Jahren machen Ersatzneubauten Platz. Vor dem Start der zweiten Bauetappe lädt die Künstlerin Brigit Spillmann zur Ausstellung «TranSit» in einem der leer geräumten Häuser.

Lisa Maire

Es ist auf den ersten Blick klar, was in Brigit Spillmanns Ausstellung die Hauptrolle spielt: Es sind die Stühle. In jedem Zimmer der vier künstlerisch bespielten leeren Wohnungen im Haus Zwischenbächen 88 stehen mehrere Exemplare. Es sind Leihgaben oder Entsorgungsobjekte von Bewohnerinnen und -bewohnern, die kürzlich aus ihren alten in die ersten neuen Wohnungen gezogen sind – oder weg aus der Siedlung. Am Ende der zweiten Bauetappe werden auf dem Areal der Baugenossenschaft für neuzeitliches Wohnen 156 Wohnungen stehen – fast doppelt so viele wie zuvor.

Mitgebracht auf Anregung der Künstlerin, stehen die Stühle nun da als symbolische Stellvertreter ihrer Besitzerinnen und Besitzer. Ob uraltes Tabourettli mit Hicks und Flicken, Klappstuhl aus Plastik, eleganter Freischwinger oder tiefroter Plüschsessel: Alle laden sie ein, Platz zu nehmen «für einen Moment der Ruhe und des Abschiednehmens», so Spillmann. Auch sie selbst hat Sitzobjekte beigesteuert: Drehstühle aus ihrem Atelier zum Beispiel. Die Stars aber sind zwei antike chinesische Stühle mit einer «viel­bewegten» Geschichte: Sie stammen aus der Sammlung von 1001 Stühlen, die der berühmte chinesische Konzeptkünstler, Menschenrechtler und Dissident Ai Weiwei zusammen mit ebenso vielen Landsleuten an die Documenta 2007 nach Kassel mitgebracht hatte.

Manchmal fliegt ein Stuhl davon

Die Stühle wurden später verkauft, sie habe zwei davon erwerben können, erklärt Spillmann, die sich schon länger mit der Kunst von Ai Weiwei beschäftigt und sich nun inspirieren liess, selbst etwas zum Thema Stuhl zu erschaffen. Herausgekommen sind vielgestaltige Stuhlbilder, minimalistisch, märchenhaft oder luftig, mit allen Vieren fest auf dem Boden oder auch davonfliegend. Ein spezielles Objekt wird neben dem Ai-Weiwei-Stuhl hängen: Der «Mantel», eine Art Scherenschnitt in Form eines filigranen, auseinandergeklappten «Stuhlskeletts».

Spillmann, ausgebildete Werklehrerin und bis zur Pensionierung als Dozentin lange an der Fachhochschule Nordwestschweiz tätig, setzt sich in ihren Arbeiten stets mit Themen und gesellschaftlichen Phänomenen auseinander, die sie selbst stark beschäftigen – seien es Reiseeindrücke oder Entwicklungen im Alltag.

Nebst dem Stuhlmotiv zeigt sie nun auch eine ganze Reihe von abstrakten Werken zum Thema «Durchblick» sowie zahlreiche bunte Minibilder. Entstanden sind die Minis in den letzten zwei Jahren, als die Künstlerin, so sagt sie, in ihrem Atelier direkt gegenüber der lärmigen Siedlungsbaustelle «oft nicht die Ruhe hatte, lange an etwas dranzubleiben».

An einem Wendepunkt in Ruhe aufs Alte und Neue schauen – das Projekt «TranSit» fasst dies genial zusammen: «Trans» für hinüber, «Sit» für sitzen. «Mir ist es wichtig, Veränderungen positiv zu sehen», sagt die Künstlerin, die beim Organisieren der Ausstellung von Markus Steiner, Mitglied der Genossenschaftsverwaltung, viel Unterstützung erfuhr. Er ist begeistert vom Projekt – übrigens Spillmanns zweite «Kunstbesetzung» in einem Abbruchhaus an der Quartierstrasse Zwischenbächen. Wenn die langjährig vertraute Heimat dem Erdboden gleichgemacht werde, könne das schon sehr wehtun, sagt Steiner. «TranSit» ermögliche kleine Rituale des Abschiednehmens, das sei einfach etwas sehr Schönes. Vielleicht kämen ja auch einige der neu Zugezogenen – um zu schauen, wie es in den alten Wohnungen war, fügt Spillmann an. «Und vielleicht ergeben sich ja auch Begegnungen und Gespräche, die in Erinnerung bleiben.»

  • Beim Besuch der Journalistin vor Ostern ist Brigit Spillmann noch heftig am Rumwirbeln. Bild: Lisa Maire
    1 / 3
  • Platz nehmen vor einem Fenster mit Blick ... Bild: Lisa Maire
    2 / 3
  • ... auf die letzten alten und die ersten neuen Häuser der Genossenschaftssiedlung. Bild: Lisa Maire
    3 / 3

Vernissage Mittwoch, 10. April, 17 bis 20 Uhr, dann täglich 14 bis 20 Uhr, Sonntag 14 bis 18 Uhr.

Finissage Mittwoch, 17. April, 17 bis 20 Uhr.

Haus Zwischenbächen 88. Auch siedlungs­externe Interessierte sind willkommen. Die Künstlerin ist täglich anwesend.

Lisa Maire/Zürich24