Karin Steiner
«Der Brunaupark bedeutet mir sehr viel», sagt Andrea Brigitte Studer. «Ich bin hier tief verwurzelt. Diese Siedlung ist ein soziokulturelles Phänomen, das über Jahrzehnte organisch gewachsen ist.» Als junge Erwachsene seien sie und ihre Schwester noch auf den Grundmauern herumgeklettert und hätten den lehmigen Boden berührt, auf dem einst die Zürcher Ziegeleien standen. «Meine Schwester gehörte 1980 zu den Erstbezügern der Siedlung. Ich lebe seit 18 Jahren hier, und auch unsere hochbetagte Mutter hat im selben Haus eine Wohnung.»
Alle erhielten Kündigung
Der Brunaupark wurde in den 1970er-Jahren von der Kreditanstalt, dem Vorgänger der Credit Suisse, gebaut. Heute gehört die Siedlung der Pensionskasse der Credit Suisse Group. Und die hat ehrgeizige Pläne: Auf dem Areal sollen 500 neue Wohnungen sowie ein Ladenzentrum entstehen. Im März 2019 erhielten alle Mieterinnen und Mieter die Kündigung. Fast alle, denn das Gebäude an der Wannerstrasse 31–49 mit 166 Wohnungen, in dem auch Andrea Brigitte Studer lebt, bleibt bestehen.
Baubewilligung aufgehoben
«Der Schock war immens», berichtet Andrea Brigitte Studer. «Aber zum Glück war die Solidarität gross, und die berechtigten Bewohnerinnen und Bewohner der umliegenden Häuser erhoben mit Unterstützung des Mieterverbands Einspruch.»
Mit Erfolg: Nach langem Hin und Her hob das Verwaltungsgericht im März dieses Jahres die Baubewilligung auf. Das letzte Wort dürfte jedoch noch nicht gesprochen sein. Inzwischen haben die Mieterinnen und Mieter, die noch nicht ausgezogen sind, einen befristeten Mietvertrag erhalten.
Dass Siedlungen ersetzt werden und die Mieterinnen und Mieter auf der Stasse landen, ist in der Stadt Zürich ein verbreitetes, trauriges Thema. Eine neue, bezahlbare Wohnung zu finden, ist nahezu unmöglich, und die Mietzinse in den Neubauten können sich gerade ältere Menschen kaum leisten.
Ein Raum für Meinungen
Das Thema der plötzlichen Heimatlosigkeit hat die beiden Filmemacher Felix Hergert und Dominik Zietlow dazu angeregt, einen Dokumentarfilm über den Brunaupark und seine Bewohnerinnen und Bewohner zu drehen. «Aufmerksam auf mich wurden sie durch mein Singen an einem Balkonkonzert, das durch Silvan Tarnutzer, ebenfalls Mieter des Brunauparks, während der Pandemie organisiert wurde», erzählt die Mezzosopranistin und Musicalsängerin. Während dreier Jahre besuchten die Regisseure regelmässig die Wohnungen, sprachen mit den Menschen und hielten Alltagsszenen mit der Kamera fest. Entstanden ist ein bewegender Film, der dieses Jahr in Nyon als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde. «Der Film bietet ein Sprachrohr für die Betroffenen. Er steht stellvertretend für alle Menschen, die von einer ähnlichen Situation betroffen sind.»
Auch Andrea Brigitte Studer wurde angefragt, ob sie ihre Meinung äussern wolle. «Ich sagte Ja, unter der Bedingung, dass ich mich mit Gesang ausdrücken darf. Die Lieder, die ich singe, habe ich passend zum Thema ausgesucht.» So ist die Sängerin unter anderem in der Tiefgarage oder in der freien Natur im Einsatz. Auch ist sie auf dem offiziellen Filmplakat inmitten der Häuser zu sehen.
Man kennt und unterstützt sich
Während sie zu dem idyllischen Teich geht, begrüsst sie da und dort Bekannte, fragt nach ihrem Befinden und spricht ein paar Worte mit ihnen. «Der Zusammenhalt in dieser soziokulturellen Oase ist gross», sagt sie. «Hier leben Menschen aus den verschiedensten Ländern und jeglichen Alters, von Klein bis zu Hochbetagten, die mit dem Rollator durch die grüne Oase spazieren. Die Gartenanlage rund um die Siedlung ist über die Jahrzehnte zu einem einzigartigen Lebensraum für unzählige bedrohte Tier- und Pflanzenarten gewachsen. Das Biotop ist mit Seerosen überwachsen, und überall hört man Summen und Zwitschern. «Mir persönlich bedeutet dieser Fleck Erde sehr viel, deshalb habe ich mich bereit erklärt, bei dem Filmprojekt mitzumachen.»
Andrea Brigitte Studer hat ihr ganzes Leben im Zürich-West-Gebiet verbracht. Besonders in Altstetten kennt man sie gut, denn dort hat sie einen Kinderchor gegründet und mit diesem zwölf Jahre lang unzählige Auftritte bestritten. Auch war sie lange Zeit als Journalistin für «Zürich West» im Einsatz und unterrichtete an verschiedenen Schulen. Und nicht zuletzt stand sie auch regelmässig als Sängerin auf der Bühne.
Filmstart für den Film «Brunaupark» von Felix Hergert und Dominik Zietlow ist am 29. August. An diesem Datum wird der Dok auch am Open-Air-Kino Kalkbreite gezeigt. Zudem wird er nach dem Filmstart als Video On Demand auf www.vinca-cinema.ch erhältlich sein. Am 12. September ab 18.30 Uhr gibt es im Kino Riffraff eine Spezialaufführung mit anschliessendem Podium mit dem Mieterverband, der sich zu diesem Thema äussert.