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Zürich 2
05.09.2024
06.09.2024 18:32 Uhr

Die Zürcher Pianistin, die bauchredet

Clara Luisa Demar, die ihr Alter mit «101» angibt, bewohnt das «Haus zu den drei Tannen» schon ihr ganzes Leben lang.
Clara Luisa Demar, die ihr Alter mit «101» angibt, bewohnt das «Haus zu den drei Tannen» schon ihr ganzes Leben lang. Bild: Rahel Köppel
Clara Luisa Demar hat vielfältige Leidenschaften. Sie möchte die Menschen zum Denken und zum schöpferischen Funken anregen. Die Zürcherin lebt in einem Haus, das aus dem 14. Jahrhundert stammt. Es dient regelmässig als Schauplatz für Darbietungen und für andere Anlässe.

Rahel Köppel

Sie bewohnt das aussergewöhnliche «Haus zu den drei Tannen», das gut zu Clara Luisa Demar passt: vielfältig, geheimnisvoll und ungewöhnlich. Demar ist Konzertpianistin, singt, kann bauchreden und ist Schauspielerin.

Ihr künstlerischer Werdegang begann mit dem Klavier. Mit sechs Jahren hatte Clara Luisa Demar ihre erste Klavierstunde. Diese Leidenschaft hätte sich aber nicht entwickelt, wäre Demars Vater nicht gewesen. «Nach drei Klavierstunden hatte ich eigentlich schon keine Lust mehr», sagt die Zürcherin im Gespräch. Ihr Vater jedoch wollte, dass sie die Klavierstunde weiterhin besuchte.

Demar erwies sich am Klavier als höchst untauglich, und die Erwachsenen blickten mitleidig auf das sich am Klavier plagende Kind herab, das es halt einfach nicht zu begreifen schien. Als sie dann aber mit neun Jahren mitbekam, wie ein Junge Beethovens «Mondscheinsonate» spielte, wusste sie: Das wollte sie auch können. «Und dann spielte ich mit 14 Jahren meine ersten Beethoven-Konzerte», erzählt sie.

Alfred Cortot prägte sie

Einer ihrer musikalischen Ausbilder und Wegweiser war der französische Pianist Alfred Cortot. Er war einer der grössten Pianisten des 20. Jahrhunderts, von dem Demar sehr viel lernen konnte. «Il faut toujours continuer» (man muss immer weitergehen) war ein Satz, den er Clara Demar mitgegeben hat. «Die Bedeutung einiger Dinge, die er mir gesagt hat, habe ich erst viele Jahre nach seinem Tod wirklich verstanden», sagt sie.

Clara Demar beschäftigt sich generell viel mit der Bedeutung von Musik. «Es gibt keine Musik ohne hintergründige Gedanken», sagt sie. Komponisten würden mit ihren Werken eine Geschichte erzählen oder persönliche Erfahrungen mitteilen oder in der Sprache der Musik Botschaften mit ihrem Herzblut sagen. Demars Lieblingskomponist ist Ludwig van Beethoven, der trotz seines Hörverlustes weiter musiziert hat. «Er ist eine Inspiration für Menschen, die sich in einer ähnlichen schweren Lebenslage befinden», sagt sie.

Die Engemerin war zu Konzerten in fast allen Ländern Europas. Sie begann dann «Lebensbilder» von Komponisten und Dichtern zu gestalten, in Wort, Ton und Bild. Und sie hat Arbeiten gemacht, die Wissenschaft und Kunst verbinden. So beispielsweise zum Thema Geschichte: «Martin Disteli und das Werden der Neuen Schweiz», eine Ausstellung mit Musiktheater in der Haupthalle der ETH im Jahr 1998 zum Jubiläum «150 Jahre Gründung Schweizerischer Bundesstaat». Oder «Mélodies célestes» für das weltberühmte astronomische Institut der Universität Genf (Entdeckung des ersten Planeten ausserhalb unseres Sonnensystems).

Als Tochter eines Polizeikommissars und einer Ärztin fragt man sich wohl, wie Demar zu ihrem künstlerischen Lebenslauf gekommen ist. «Meine Mutter war sehr an Literatur interessiert und hatte immer eine grosse Beziehung zur Kunst», erzählt Demar. Auch ihr Grossvater war Künstler, und die Schweizer Malerin Clara Müller war ihre Grosstante. Neben dem Klavierspielen hat Demar auch andere Leidenschaften, zu welchen unter anderem das Schauspiel gehört.

Sie erinnert sich an ein Erlebnis, als sie in der fünften Klasse ihre Schulkameradin damit beauftragte, in einer «Maria Stuart»-Szene aus Schillers Drama die Elisabeth zu spielen. Die Schulkameradin verstand wohl die erbitterte Auseinandersetzung zwischen Maria Stuart und Elisabeth I. nicht wirklich. Umso schwerer fiel ihr das Auswendiglernen des Textes. ­Demar riet nun, in der Nacht mit einer Taschenlampe unter der Bettdecke diesen Text zu lernen. Als das Projekt aufflog, ­waren die Folgen nicht undramatischer Natur!

Ihr künstlerischer Werdegang begann mit dem Klavier. Mit sechs Jahren hatte Clara Luisa Demar ihre erste Klavierstunde. Bild: Rahel Köppel

Ein Wolf namens Matthias

Auch das Bauchreden ist Teil von Demars Leben. Angefangen hat diese Tätigkeit durch eine Schülerin von Demar. Das 12-jährige Mädchen hatte ihr einen Wolf namens Matthias geschenkt, der aus ­einem Tierfell entstanden ist und immer noch existiert, wenn auch nicht mehr ganz im Originalzustand. «Matthias hat dann bald angefangen zu plaudern», ­lächelt Demar. Über die Jahre hat Wolf Matthias auch Freunde gefunden, die ebenfalls sprechen können.

30 Puppen besitzt Clara Demar mittlerweile. Es sind alles Tiere, die aus ihrer Sicht in der Form der Fabel über die Welt berichten, auch in Schauspielen mitwirkten und schliesslich lernten, Opernarien und Musical-Lieder zu singen. Auch zwei Blumen sind dabei. Ein Höhepunkt in ­Demars Bauchrednertätigkeit waren Auftritte im Bernhardtheater, in dem sie mit ihren Puppen nicht nur gesprochen, sondern auch Opern gesungen hat. Es waren Einführungsabende, die das Publikum auf heitere Weise in die Welt von Oper und Musical führten.

Den Sinn des Lebens finden

Im «Haus zu den drei Tannen», das Demar schon ihr ganzes Leben bewohnt, hat sie regelmässig Darbietungen. Die nächste findet im Rahmen von «Open House Zürich» am 24. und 26. September statt. Dort möchte Demar den Zuschauenden Goethes «Faust» näherbringen – mithilfe ihres Hauses, das als Wanderkulisse dient. Bei ihren Darbietungen ist es Demar ­jeweils wichtig, den Menschen auf der ­Suche nach dem Sinn Anregungen zu ­geben. «In ‹Faust› beispielsweise sind in jedem Satz einige Goldkörner verborgen», so Demar. Sie beschreibt verschiedene Szenen, in denen man eine Deutung des Lebenssinnes erkennen kann.

«Es geht dabei um das Mitgefühl, um das Verzeihen und um die Liebe», sagt die Zürcher Künstlerin, «um die einfache Sinnfindung.» Sie möchte in den Menschen den schöpferischen Funken an­regen. Der sei in jedem und jeder vor­handen. «Jeder Mensch hat Fähigkeiten erhalten, und dies wohl aus einem Grund», so Demar. «Diese Fähigkeiten zu erkennen, lässt den Lebensauftrag erahnen. Sie zu ­leben und zu gestalten, gibt dem Leben Sinn. Das scheint leider in der heutigen Welt immer mehr verloren zu gehen.»

Mehr Informationen zur Künstlerin sowie zu den Veranstaltungen: www.claraluisademar.ch

Rahel Köppel/Zürich24