Patrick Holenstein
Nebno, wie war das Jahr 2024 bisher für dich?
Es ist viel passiert, daher fühlt es sich an, als ob das Jahr schnell vorwärtsgeht. Das Jahr war zwar streng, aber in einem guten Flow. Aktuell liegt der Fokus stark auf der fertigen Musik. Einen Ausgleich zwischen der Promo- und Release-Arbeit und dem Schreiben von neuen Songs zu finden, ist manchmal schwierig. Ich durfte in diesem Jahr meine Kreativität mit anderen Kunstschaffenden teilen, was sehr befruchtend war, und so entstand durchaus auch neues Material.
Machst du die Promo-Arbeit selbst?
Ich habe für das kommende Album mit First Light Records aus Manchester erstmals ein Label an meiner Seite. Als die Anfrage vom Label kam, war ich mit meinem Label, Low Sky Records, an einem Punkt, an dem ich mich sehr wohl fühlte. Trotzdem spürte ich, dass die Erfahrung, mit einem Label zu arbeiten, mich reizte. Nur schon, um am Ende abschätzen zu können, wie stark mich die Zusammenarbeit entlastet oder befruchtet, und zusehen, wie die Struktur in einem Team funktioniert. Aber Medien- und Promoarbeit oder auch das Booking übernehme ich. Ich bin eine One-Girl-Company.
Seit deinem Debüt «Streams» sind fünf Jahre vergangen. Wie hast du dich seither künstlerisch verändert?
Ich bin definitiv selbstsicherer geworden, wenn es um meinen Stil geht. Dass ich von Label-Arbeit über Konzepte für Visuals und Booking bis Promo sehr viel selbst gemacht habe, hat mir Vertrauen gegeben, dass ich in diesem Business allein funktionieren kann. Es ist zwar schön, wenn ich mit Leuten arbeiten kann, aber ich bin nicht davon abhängig. Ich fühle mich stark und glaube zu wissen, wie der Laden läuft. Auch musikalisch. Ich kann alles selbst produzieren, wenn ich will, arbeite aber auch gerne im Studio mit einem Team.
Du hast vor ein paar Jahren deinen Künstlernamen geändert. Wie ist es dazugekommen?
Den Künstlernamen wollte ich schon länger ändern. Ziel war eher, eine Grenze zwischen Privat und Beruf zu ziehen, auch wenn diese automatisch verschwimmt, weil es eine persönliche Leidenschaft ist. Ich mag, wenn ich weiss, jetzt arbeite ich drei Stunden an Nebno und dann mache ich Feierabend. Durch den Künstlernamen kann ich mich besser davon abgrenzen und es mehr als Kunstprojekt betrachten. So habe ich mit Nebno eine eigene Welt, in der ich mich vertieft entdecken, kennenlernen und ausprobieren kann.
Deine Stimme wirkt nochmals gefestigter. Wie siehst du dich als Sängerin und Musikerin? Hast du viel Arbeit in die Stimme investiert?
Nicht bewusst. Aber durch den Job als Musiklehrerin an einer Primarschule ist das durchaus möglich. Die Lieder, die ich mit den Kindern singe, sind alle so hoch, dass ich mehr die Kopfstimme nutze und diese dadurch automatisch trainiert wird. Dazu kommt, dass ich sehr klar singen und sprechen muss, damit die Kinder mich gut verstehen. Gut möglich, dass dadurch meine Stimme mehr trainiert wirkt und klarer klingt.
Du hast im Sommer zwei neue Singles veröffentlicht. Die erste, «Love Is A Special Thing», klingt, als hätten Björk und Portishead intensiv zusammengearbeitet. Wo wolltest du mit dem Song künstlerisch hin?
Kann ich gar nicht so genau sagen. Oft habe ich beim Schreiben kein klares Ziel. «Love Is A Special Thing» war zu Beginn ein instrumentales Stück. Ich habe bei mir im Atelier am Song gearbeitet, Streicher arrangiert und wollte ursprünglich einen supersphärischen Track. Erst im Studio haben Produzent Francesco Fabris und ich Beats dazu generiert. Dadurch hat der Song eine völlig neue Farbe bekommen. Durch die Richtung, in die sich der Song entwickelte, fand ich, dass er Stimme und Lyrics benötigt. So sind im Studio spontan erste Strophen entstanden. Ursprünglich war er also ganz anders geplant. Ich finde es wichtig, dass man sich vom Prozess leiten lässt und sich nicht an ursprüngliche Visionen festklammert.
Was fühlst du, wenn du die fertigen Songs hörst, nachdem du intensiv daran gearbeitet hast?
Für mich könnten sie nicht unterschiedlicher sein. Aber ich mag es, mit den Singles eine Bandbreite zu zeigen, die am Schluss auch auf dem Album ist. Ich bin froh, dass ich gelernt habe, mit einem Song abzuschliessen, wenn er im Studio ausgearbeitet wurde. Der kreative Prozess ist dann abgeschlossen und ich bin an diesem Punkt glücklich und zufrieden mit dem Ergebnis. Und was danach mit einem Song passiert, ob er viel Resonanz erhält, ob er gut aufgenommen wird oder nicht, kann ich nicht kontrollieren und lasse das einfach geschehen.
Du lebst sowohl in Zürich als auch in Reykjavik. Hast du deine Songs wie schon bei früheren Alben wieder in Island aufgenommen?
Ja, die wurden in Island finalisiert. Die Songs entstehen in Zürich, wo ich auch die Vorproduktion für die Aufnahmen mache. Alle Audioinstrumente wie Flügel oder auch Violine und Cello, die auf dem Album präsent sind, arrangiere ich zu Hause. Danach lade ich Gastmusiker ins Studio ein und bin mit Francesco daran, den Song zu finalisieren. Ich versuche, zwei- bis dreimal im Jahr nach Island zu reisen, oft im Sommer. In diesem Jahr hat es nicht geklappt, weil die Prioritäten anderswo lagen.
Wie erkennst du die Mischung aus Zürich bzw. der Schweiz und Island in deiner Musik und vielleicht auch in deiner Arbeitsweise?
Die isländische Musik hat mich sehr geprägt und ich höre sie privat auch viel. Da sind Künstlerinnen und Künstler dabei, die mir wichtig sind wie Björk, Sigur Ros oder Soley. Aus Island kommt so viel gute Musik. Ich versuche, von ihnen zu übernehmen, unkomplizierter zu arbeiten. Ich habe in Reykjavik das Gefühl, wenn ich jemanden anrufe und frage, ob in der nächsten Woche ein Tag im Studio möglich wäre, ist das kein Problem. Dann heisst es: «Schickt mir etwas zum Reinhören und ich komme dann ins Studio.» In der Schweiz muss ich das viel früher kommunizieren, vielleicht sogar schon ein Budget im Vorfeld erstellen. Es geht schnell um Fragen wie die Anzahl Proben oder wie lange das Ganze dauert. Ich habe das Gefühl, man macht in Island mehr Musik, weil man Musik machen will, und denkt nicht sofort ans Business. Ich merke aber, dass ich als Selbstständige eher schweizerisch arbeite und mein Budget und meine Excel-Listen dabeihabe. Ich möchte diesen Gedanken vom gemeinsamen Musikmachen, weil man Musik mag und Freude am Kreieren hat, etwas in den Vordergrund zu stellen.
Deine zweite Single heisst «Meradalir», der Name eines Vulkans auf Island. Welche Bedeutung hat dieser Titel für dich?
Ich habe den Vulkan selbst gesehen, und die Eruption zu erleben, diese Kraft zu spüren von Leben und Land, das gerade entsteht, quasi am Puls des entstehenden Lebens zu sein, war für mich unglaublich faszinierend. Der Titel ist erst ganz am Schluss entstanden. Als ich das Lied geschrieben habe, war das kurz nach dieser Islandreise und ich war noch in der Stimmung gefangen. So entschied ich, dieser Reise und diesen Erlebnissen eine Widmung zu geben, und habe entsprechend den Titel gesetzt.
Das Video zum Song «Meradalir» ist in der Schweiz entstanden, und zwar auf dem Klausenpass auf zirka 2000 Metern. Wie kam es zu dieser Idee?
Ich habe unglaublich lange nach einem Ort gesucht, der allen Visionen und Ansprüchen gerecht wird. Bis ich irgendwann diesen Flecken Natur auf dem Klausenpass entdeckt habe, waren ein paar Wochenendtrips mit dem Auto nötig. Ich habe den Regisseur Magnus Andersen in Island kennen gelernt und wollte schon länger mit ihm arbeiten. Inzwischen lebt er aber in Schweden. Wir haben zuerst gewitzelt, dass wir den Clip beim Vulkan auf Island drehen könnten, weil die Stimmung so gut gepasst hätte. Aber das lag nicht in meinem Budget. So habe ich entschieden, Magnus in die Schweiz zu holen, anstatt das gesamte Team an eine Location ins Ausland zu bringen. Also reiste er für drei Tage in die Schweiz. Wir hatten zwei wunderbare Tänzer, Emma Thesing and Luis Martínez Gea, die gemeinsam mit zwei Kollegen von der Tanzkompanie St. Gallen, wo sie arbeiten, die Choreografie gestaltet haben. Für die Choreo habe ich ihnen sehr viele Freiheiten gegeben, weil sie die Experten in dem Bereich sind. Also haben wir uns am Klausenpass getroffen, inklusive einer Stylistin. Wir hatten nur diesen einen Tag und es gab nur diese eine Chance, hätte es geregnet, dann wäre es ein Regenvideo geworden. Aber wir hatten sehr viel Glück, dass an diesem Tag alles sehr gut geklappt hat – vom Wetter über die Anreise bis zum Zeitplan. Es war ein richtig toller Tag.
Wie viele Leute hattest du dabei?
Wir waren Magnus und ich, weil wir die Regie gemeinsam gemacht haben. Dann die beiden Tänzer und die Stylistin. Mein Freund war als Assistent dabei und hat für Getränke geschaut und war sonst viel am Springen. Total waren wir ein kleines Team von sechs Personen. Ich mag die Arbeit in kleinen Gruppen, in denen sich alle kennen, generell sehr gerne.
Du warst Produzentin. Wie war diese Erfahrung für dich?
Es war sehr spannend für mich. Aber Magnus und ich hatten schon vor der Produktion einen sehr engen Austausch. Es hat so angefangen, dass ich ihm als Inspiration andere Musikvideos geschickt habe, die mir sehr gut gefallen. Er hat dann darauf reagiert und gemeinsam haben wir einen Plan für die Produktion ausgearbeitet. Als Emma und Luis auf dem Klausenpass ihre Choreo getanzt haben, standen wir beide mit dem Block da und schauten, wo noch eine Aufnahme sinnvoll sein könnte, noch eine Weitwinkelaufnahme zum Beispiel. Es war vor Ort ein gemeinsames Ausprobieren.
Die beiden Singles sind Vorboten auf ein Album. Kannst du schon mehr dazusagen?
Es kommen noch drei weitere Singles, dann folgt das Album. Ich hoffe, es fällt mir nicht so schwer, wenn das Album raus ist, wie bei den vorherigen beiden. Man ist einen Moment lang verloren, weil etwas, was über einen langen Zeitraum mit viel Aufwand und Sorgfalt aufgebaut wurde, dann einfach abgeschlossen und für jeden zugänglich ist.
Was ist bei dir in diesem Jahr noch geplant? Spielst du Konzerte?
Die Veröffentlichung des neuen Albums und weiterer Singles. Die Stücke werden nach dem Release dann auch auf die Bühne getragen.
Dieses Interview entstand in Zusammenarbeit mit dem Zürcher Online-Kultur-Magazin Bäckstage.ch