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Kultur
24.10.2024

Zurück in die Vergangenheit getanzt

Das einzig Digitale an der Golden Eagle Disco des Jahres 2024 waren Handys, um die Freude am Revival zu teilen.
Das einzig Digitale an der Golden Eagle Disco des Jahres 2024 waren Handys, um die Freude am Revival zu teilen. Bild: Roger Suter
Die Glattbrugger Jugenddisco Golden Eagle begeisterte in den 1970er- und frühen 80er-Jahren die Teenager der Region. Vergangenen Samstag erlebte sie ihre Wiederauferstehung. Discogänger «ü50» tanzten zu den Hits von damals, welche die Original-DJs noch einmal auflegten.

«Ich weiss noch genau, wie ich 1976 als 16-jähriger Schüler zum ersten Mal im Meer aus Lichtpunkten stand, die eine Spiegelkugel durch den ganzen Raum der Golden Eagle Disco flirren liess», erzählt Reto Baer (Box). «Dazu tauchten UV-Röhren alles, was weiss war, in ein überirdisch strahlendes Violett. Kein Wunder, erbettelte ich schon tags darauf von meinem Vater ein altes weisses Hemd. Ausserdem achtete ich fortan darauf, für die Disco immer auch weisse Socken zu ­tragen.» In der heutigen Welt aus Reizüberflutungen kann ein junger Mensch wahrscheinlich gar nicht mehr nachvollziehen, wie überwältigend eine simple Lichtorgel auf Jugendliche im Analogzeitalter gewirkt hatte. Und damals pulsierte die Lichtorgel noch nicht nach einem Computerprogramm, sondern reagierte tatsächlich auf den Rhythmus der Musik.

Ronnie Derichsweiler, ehemaliger Golden-Eagle-DJ, hat für den Revival-Abend am 19. Oktober die Original-Lichtorgel nachgebaut. Der 61-Jährige ist der eigentliche Initiant des Anlasses. Monatelang hat er unermüdlich gearbeitet, Helferinnen und ­Helfer zusammengetrommelt, eine Facebook-Gruppe gegründet sowie Plakat und Flyer mit dem Original-Logo gestaltet.

Mit seiner Begeisterung hat der Glattbrugger nicht nur drei weitere Ex-DJs angesteckt, die neben ihm aufgelegt haben, sondern auch Co-Gemeindeleiter Thomas Lichtleitner, der gerne grünes Licht gab, damit die Retro-Party am ursprünglichen Ort stattfinden konnte: im katholischen Kirchenzentrum Glattbrugg. Auch Hauswart Eddy Vasquez hat mitgeholfen, wo er kann.

Jungbrunnen unter der Kirche

Das war aber auch nötig: Gehofft haben die Organisatorin und die Organisatoren auf gut 70 Eintritte (à 15 Franken), um das Revival zu finanzieren. Gekommen sind rund dreimal so viele Gäste. «Es ist toll», sagt Mike Frei am Samstagabend angesichts der vielen Menschen zwischen 50 und 70, die sich vor dem Seiteneingang der Kirche St. Anna versammelt hatten und das Wiedersehen feierten. «Ich bin stolz, Teil von etwas zu sein.» Nach keinen zwei Stunden Grillbetrieb hat er das erste Mal Fleisch nachbestellen müssen, um halb zehn konnte er noch eine letzte Kiste Prosecco besorgen. Und er hat noch etwas beobachtet: «Manch einer, der beim ersten Mal so unsicher die Treppe runterging, dass ich ihm Hilfe anbieten wollte, kam später beschwingt und leichtfüssig wieder nach oben.» Offenbar wirkt das Treiben unter der katholischen Kirche wie ein Jungbrunnen.

Die Organisatoren von damals (und von links): Pfarrer Arnold Huber, Beat Gattlen, Pascal Sahli, Doris Gallati, Mike Frei, Reto Baer, Daniel Greiner und Ueli Giger im Mai 1978. Bild: zvg

Vinyl und tropfende Decke

«Die Golden Eagle Disco erinnert mich an eine unvergessliche und glückliche Zeit», erzählt Derichsweiler. «In zahlreichen Gesprächen wurde mir klar, dass es vielen anderen ebenso ergeht. Deshalb kam mir die Idee zum Revival.» In den besten Zeiten verkaufte die Disco 500 Billette pro Abend. Viel zu viele eigentlich. «Ich weiss noch, wie immer wieder das Kondenswasser von der Decke tropfte.»

Das ist auch an jenem Samstag nicht anders: Ans Fotografieren ist in der ersten halben Stunde nicht zu denken, derart beschlagen sich sämtliche Linsen der Kamera in der von Tanzenden aufgeheizten schwülwarmen Luft. Dafür bietet die Bar im Nebenraum willkommene kühle Getränke, aber auch Kuchen.

Der OK-Präsident legt Wert darauf, dass die vier DJs wie damals nur Vinyl-Singles und LPs auflegen. Dafür hat jeder eine Kiste davon mitgebracht, säuberlich sortiert und beschriftet. Ronny Derichsweiler als Inhaber der Firma Acustronics stattet alle möglichen Events mit Licht- und Tonanlagen aus und verfügt noch über zwei Profi-Plattenspieler aus dieser Zeit. «Sie laufen innert Sekunden auf der richtigen Geschwindigkeit», erläutert DJ Reto Baer, während er mit dem Kopfhörer und der Plattenspielernadel den Beginn des nächsten Songs lokalisiert.

Alles ausser Schlager und Ländler

Wer in den 1970er- und 80er-Jahren jung war, weiss, dass damalige Tanzlokale noch nicht auf eine bestimmte Musikrichtung festgelegt waren, sondern alles spielten, solange es keine Schlager und Ländler waren.

«Rock, Pop, Funk, Disco-Sound, Reggae und Soul in einer Lautstärke zu hören, die bei mir zu Hause nicht erlaubt war, kam einer Offenbarung gleich. Den Bass im Bauch spüren – einfach grossartig», so Reto Baer. «Als ich 1976 ins Discoteam eintrat, half ich an der Kasse (Eintritt 5 Franken) oder an der alkoholfreien Bar (ein Becher 50 Rappen). Nach Veranstaltungsende um Mitternacht musste ich auch beim Putzen und Abräumen der Anlage mit anpacken. Trotzdem blieb mir während des Abends genug Zeit, zwischendurch auch mal selbst zu tanzen. Und Mädchen kennen zu lernen. Denn im Golden Eagle liefen auch – ganz wichtig! – langsame Songs. Schliesslich wollten wir Teenager einander näher kommen.» Zu Santanas «Samba Pa Ti» oder Pink Floyds «Brain Damage» zum Beispiel. «Oder zu Serge Gainsbourgs und Jane Birkins ‹Je t'aime… moi non plus›», wie Mike Frei vor der Tür ergänzt, als diese gehauchten Worte – damals ein Skandal, der sogar den Vatikan auf den Plan rief – durch die Fensterscheiben des katholischen Kirchenzentrums nach draussen dringen.

«Nach rund zwei Monaten durfte ich das erste Mal selbst auflegen und war von der ersten Sekunde an begeistert», erzählt Reto Baer weiter. «Wie man als DJ die Menschenmenge im Saal in den Fluss der Musik lenken konnte, faszinierte mich. Ausserdem merkte ich, dass mich diese neue Aufgabe bei den Mädchen interessanter machte. Ich will das gar nicht verschweigen. Gleichzeitig möchte ich klarstellen, dass wir DJs damals weder gemixt noch gescratcht haben. Wir sorgten einfach für fliessende Übergänge zwischen den Songs. Und eine Viertelstunde vor Mitternacht nahmen wir das Mikrofon zur Hand und baten die Anwesenden, beim Heimgehen die Töffli nicht zu laut aufheulen zu lassen. Schliesslich waren wir auf den Goodwill der Nachbarschaft angewiesen.»

Auch diesmal informierte das OK die Nachbarschaft. «Aber ich musste niemanden draussen ermahnen, leiser zu sein», resümiert Mike Frei.

Pfarrer Arnold Huber, der das Disco-Team gegründet und geleitet hatte, legte verständlicherweise Wert darauf, dass die Samstagabende möglichst katastrophenfrei über die Bühne gingen. «Ich habe mit dem ehemaligen DJ-Kollegen Daniel Greiner schon oft darüber gesprochen, dass wir dem katholischen Priester, der 2018 kurz vor seinem 83. Geburtstag verstarb, viel zu verdanken haben», sinniert Reto Baer. «Denn er hat uns zu einer Zeit, als das Unterhaltungsangebot für Teenager noch dürftig war, einen Ort geboten, wo wir unvergessliche Erlebnisse haben konnten.»

Fast dasselbe Team für die Neuauflage (von links): Beat Gattlen, Pascal Sahli, Doris Gallati, Mike Frei, Daniel Greiner, Reto Baer und OK-Präsident Ronnie Derichsweiler am vergangenen Samstag, 19. Oktober 2024. Bild: zvg

Rockfestivals auf Klotener Eisbahn

Zweimal organisierte das Golden-Eagle-Team zusammen mit dem Konzertveranstalter Free & Virgin sogar ein Rock-Festival. Es fand in den Sommern von 1976 und 1977 auf der Eisbahn in Kloten statt. Polo Hofers erste Band Rumpelstilz trat ebenso auf wie die Hardrock-Gruppe Krokus kurz vor ihrem grossen Durchbruch.

Um ein Haar wäre sogar Blondie aus New York nach Kloten gekommen, gab dann jedoch einem Auftritt in einer ZDF-Sendung den Vorzug. Seufz!

Übrigens, damit dies auch noch gesagt sei: Golden Eagle bedeutet Steinadler. Eine stilisierte Silhouette des Greifvogels bildete das Logo der Disco. Und es prangte auch vergangenen Samstag auf rund 200 Handgelenken, die sich zur Musik der 1960er-, 70er- und 80er-Jahre bewegten. Born to Be Wild. Oder wie es im Disco-Zeitalter etwas moderater hiess: «Born to Be Alive».

Disco, Film und wieder Disco

Reto Baer, Jahrgang 1960, wuchs in Kloten auf und arbeitete als Kulturjournalist, zuletzt als Filmkritiker für Radio SRF 3, Fernsehen SRF 1 und SRF Kultur online. Heute ist er Schriftsteller. In seinem soeben erschienenen Roman «Zauberpilze» kommt die Golden Eagle Disco auch vor.

Reto Baer und Roger Suter/Klotener Anzeiger/Zürich24