Tobias Hoffmann
Erschrecken Sie nicht, wenn ich gleich mit einer Studie beginne. Sie ist einfach zu verblüffend. Anlässlich der städtischen Migrationskonferenz 2018 stellte Christof Meier, Leiter der Integrationsförderung der Stadt Zürich, Zahlen zur Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen vor, der grössten 10-Jahres-Altersgruppe in der Stadt. Die Mehrheit von ihnen ist im Ausland geboren, sie sind mehrheitlich im Erwachsenenalter nach Zürich gezogen, und fast die Hälfte von ihnen hat keinen Schweizer Pass und ist damit vom Stimm- und Wahlrecht ausgeschlossen.
Heute betont Christof Meier, den wir zum Gespräch im 4. Stock des Stadthauses treffen, diese «Nichtvertretung» eines besonders dynamischen Teils der Bevölkerung stelle «ein demokratiepolitisches Problem» dar. Die Stadt habe deshalb ihre diesbezüglichen Aktivitäten in den letzten Jahren intensiviert. Hier soll es aber nicht um die Arbeit der Behörden gehen, sondern um jene einer beratenden Kommission, die seit 2005 besteht (siehe Kasten ganz rechts): Der sogenannte Ausländerinnen- und Ausländerbeirat (im Folgenden nur noch: Beirat) bringt Themen in die politische Diskussion, die der Alltagserfahrung der Migranten entspringen, aber oft unterzugehen drohen. Wir haben die Co-Präsidentinnen des 25-köpfigen Beirats über ihre Arbeit befragt.
Frau Ledesma, Frau Charaf, war die Bedingung für Ihre Wahl ins Co-Präsidium, dass Sie bereits vorher im Beirat gearbeitet haben?
Chantico Ledesma: Im Reglement steht das nicht, es ist aber der Idealfall. Ich habe jetzt meine dritte Legislatur angefangen und bin immer wieder überrascht, wie viel ich wissen muss, bevor ich mir eine Meinung bilden kann. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand von aussen gleich im Co-Präsidium startet.
Marianne Charaf: Ich bin in der letzten Legislaturperiode dazugekommen und wirkte dann auch im Vorstand mit, sehr aktiv beim Thema «Schule und Elternhaus». Für uns geht es nicht darum, die Welt zu revolutionieren. Wir möchten über Themen sprechen, welche die Migrantenbevölkerung vermehrt betreffen und sonst untergehen. Dennoch sind wir keine einheitliche Grösse: Da gibt es die Hochgebildeten und die Hochdeutsch Sprechenden, die – vermeintlich – keine grösseren Schwierigkeiten haben; und dann sind da jene, die aus Kriegsgebieten kommen oder die nicht dieselbe Schriftsprache wie wir haben oder die bildungsferner sind … Die Anliegen, für die wir sensibilisieren möchten, sind also sehr unterschiedlich.
Frau Ledesma, Sie sind nun acht Jahre dabei. Wenn Sie auf Ihre Tätigkeit zurückblicken, haben Sie dann das Gefühl, dass sie positive Wirkung hatte? Können Sie sich an konkrete Fortschritte erinnern?
Ledesma: Es gibt eine sehr positive Wirkung! Ich bin sehr zufrieden, deshalb mache ich weiter. Ein konkretes Beispiel war unser Einfluss auf die Umsetzung des «Runden Tisches gegen Rassismus» sowie die kontinuierliche Arbeit mit der Fachstelle Brückenbauer. Für mich entscheidend ist aber, dass es eine Behörde gibt, die unseren Einsatz für ein interkulturelles Zürich schätzt, für ein Miteinander der Menschen mit und ohne Stimmrecht, für Chancengerechtigkeit und Arbeits- und Wohnmöglichkeiten für alle. Das motiviert mich sehr. Aber auch das Feuer der Menschen, die sich im Beirat engagieren. Dass Menschen mit so unterschiedlichem Hintergrund zusammenkommen, ist schon selber genug Wirkung.