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Kanton Zürich
21.08.2023
22.08.2023 10:39 Uhr

Die Armee zeigt ihr Hightech-Können

Das Highlight der Armeeschau Connected war die 35-minütige Show des Kommando Cyber.
Das Highlight der Armeeschau Connected war die 35-minütige Show des Kommando Cyber. Bild: Dennis Baumann
An der grössten Armeeschau in den letzten sieben Jahren, der Connected, bekamen Besucherinnen und Besucher erstmals einen umfassenden Einblick in die digitalen Verteidigungsmassnahmen der Schweizer Armee.

Dennis Baumann

Was, wenn die Schweiz von einem Blackout betroffen ist? Was, wenn Cyberattacken die Infrastruktur angreifen? Wie ist die Schweizer Armee in Sachen Digitalisierung auf den Ernstfall vorbereitet? Diese und viele weitere Fragen liessen sich am Wochenende an der Armeeschau Connected beantworten

Für einmal standen Tür und Tor des Waffenplatzes Kloten-Bülach der gesamten Bevölkerung offen. Umfunktioniert zu einem Festgelände konnten Besucherinnen und Besucher auf dem Waffenplatz bei verschiedenen Ausstellern hinter die Kulissen blicken. Vom Familien-Parcours, der zum Ausprobieren der Militärausrüstung einlud, bis zur Vorführung der Diensthunde war für jeden etwas dabei. Ziel der Veranstaltung war es, der Bevölkerung zu zeigen, was die Armee zur Sicherheit der Schweiz beiträgt.

Gegen Blackout gerüstet

Das Gelände erstreckt sich über mehrere Kilometer hinweg von Kloten bis nach Bülach, wo sich die Parkplätze befanden. Dutzende Aussteller, ob von der Armee selbst oder aus der Privatwirtschaft, erwarteten rund 100 000 Besucherinnen und Besucher. Eines der ersten Highlights des Anlasses gab es gleich mehrmals am Tag zu sehen: die Arena, eine 30-minütige Show, die das Kommando Cyber vorstellt und demonstriert, wie sie im Ernstfall handelt. Die Arena, eine riesige, klimatisierte Halle, wurde mit einer Tribüne versehen und bot Platz für rund 1000 Zuschauerinnen und Zuschauer. Zwei Moderatoren zeigten dort im Zusammenspiel mit einigen Filmsequenzen, was die Führungsunterstützungsorganisation Kommando Cyber leistet.

Mit einer immersiven Soundkulisse, mehreren Bildschirmen und Lichteffekten wurde das Publikum regelrecht in die Vorführung reingesogen und bekam die Hauptfunktion dieser neuen Dienstelle erklärt. So betreibt das Kommando Cyber die einsatzkritische Infrastruktur und kann selbst bei einem landesweiten Blackout die nötigsten digitalen Verbindungen aufrechterhalten. Dank über 3000 Kilometer Glasfaserkabel und Richtstrahlverbindungen sowie drei Rechenzentren sei die Datenübermittlung auch in einer Krisensituation gewährleistet, wird gesagt. Zivile Behörden und Blaulichtorganisationen könnten dann vom Militärnetzwerk Gebrauch machen. In Notsituationen geht es beim Kommando Cyber weiter darum, ein Bild der Gesamtsituation zu erstellen.

Auf spielerische Art und Weise demonstrierten die Moderatoren anhand eines fiktiven Beispiels, wie sie Informationen aus verschiedenen Quellen beschafft. In diesem Beispiel meldet die Stadtpolizei Basel dem Militär ein auffällig hohes Verkehrsaufkommen auf der Autobahn. Ein zweites Lagebild zeigte mithilfe von Radaraufnahmen den Luftverkehr. Das Publikum bekam dabei technische Gadgets zu sehen, wie etwa eine Augmented-Reality- Brille, die dem Benutzer weitere Informationen zum Gesehenen abbildet. Weiter zeigte die Show die Aufklärungsdrohne Black Hornet. Mit ihrer Grösse passt sie in jede Handfläche. Im fiktiven Szenario konnte sie mithilfe einer Wärmebildkamera Truppenbewegungen entlang der Schweizer Grenze feststellen.

Letztlich war auch das Publikum gefragt. Nicht nur technische Hilfsmittel, sondern auch die Bevölkerung wird als Informationsquelle benötigt. Jeder Sitzplatz in der Arena war mit einer Fernbedienung versehen und sobald der Schweinwerfer jemanden anleuchtete, sollte jener Zuschauer die Fernbedienung betätigen. Auf einer am Bildschirm projizierten Landkarte wurde das Drücken des Knopfes abgebildet, um zu sehen, wo die Meldung einging. Das Kommando Cyber fügt die einzelnen Lagebilder danach zu einem Gesamtbild zusammen. Ziel sei es, dass die Führungsorganisationen dadurch stets einen Wissens- und Entscheidungsvorteil habe, so die Moderatoren weiter.

Drohnen aus der Hand starten

Im Anschluss an die Show in der Arena zeigten die Aussteller vom Kommando Infanterie im Freien, wie Drohnen zur Aufklärung eingesetzt werden. Mit einer Liveübertragung auf einem grossen Bildschirm waren die Zuschauer hautnah dabei und sahen, wie die Drohne über das Gelände hinwegfliegt.

Über ein herkömmliches Smartphone verbunden mit einem Joystick lässt sich die Drohne Anafi fernsteuern. Sie verfügt über eine Distanz von bis zu zwei Kilometern und wird im Einsatz meistens auf Autopilot umgestellt. Während sie auf einer vordefinierten Route fliegt, können die Bodentruppen die Resultate der Aufnahmen fortlaufend auswerten.

Armeebericht nimmt Cyberkrieg ins Visier

Seit dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine ist auch die Leistungs- und Verteidigungsfähigkeit der Schweizer Armee wieder vermehrt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Ein neuer, eben veröffentlichter Armeebericht weist massiven Handlungsbedarf aus. Eine Einordnung.

«Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor.» Dieser bereits aus der Antike bekannte Leitsatz hat spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine vor rund eineinhalb Jahren plötzlich wieder an Bedeutung gewonnen. Denn diese völkerrechtswidrige, militärische Aggression hat die bestehende europäischeSicherheitsstruktur und das sicherheitspolitische Umfeld deutlich und tief greifend verändert.

Gut 30 Jahre lang herrschte nach der Auflösung der Sowjetunion und dem Ende des Warschauer Pakts auf dem Kontinent relativer Friede. Doch jetzt wird offensichtlich, dass Interessenkonflikte wieder vermehrt unter Anwendung militärischer Gewalt ausgetragen werden. Somit ist wohl absehbar, dass sich die Sicherheitslage durch die verstärkte Konkurrenz der Grossmächte sowie das Aufstreben von Regionalmächten und nicht staatlichen Akteuren in den kommenden Jahren weiter verschlechtern wird.

Vor dieser bedrohlichen Ausgangslage muss sich auch die neutrale Schweiz neu justieren und insbesondere ihre Verteidigungsfähigkeit auf den neusten Stand bringen. Die meisten europäischen Länder sind bereits daran, ihre militärischen Potenziale massiv auszubauen. Dass grosser Handlungsbedarf besteht, beweist der aktuelle Armeebericht «Die Verteidigungsfähigkeit stärken – Zielbild und Strategie für den Aufwuchs». Der Bericht nimmt kein Blatt vor den Mund und beurteilt den aktuellen Stand der Verteidigungsfähigkeit als kritisch: «Die Durchhaltefähigkeit der Armee ist heute stark eingeschränkt.» Mit dem Wegfall der ­Bedrohung, wie sie im Kalten Krieg bestanden hat, sei die zuvor bestehende Kriegslogistik weitgehend nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen organisiert und für den Ausbildungsbetrieb optimiert worden.

Rasante Technologieentwicklung

Gleiches gelte für die Bevorratung, bei der sich die Beschaffungsmengen bisher primär an den Bedürfnissen der Ausbildung orientiert hätten. Zudem wird festgestellt, dass ein grosser Teil der unterirdischen Infrastruktur zur Führung und Sicherstellung der Logistik abgebaut wurde. Auf die Kampfinfrastruktur, insbesondere Sperrstellen und Festungsartillerie, wurde verzichtet. Die Mängelliste geht noch weiter: Im Bereich der Führungsfähigkeit sei die Situation ebenfalls herausfordernd, da die verschiedenen Systeme der Informations- und Kommunikationstechnik hochkomplex und nicht aufeinander abgestimmt seien. Und: «Die Durchhaltefähigkeit der Luftwaffe wäre in einem bewaffneten Konflikt begrenzt.»

Die moderne Kriegsführung beschränkt sich heute aber längst nicht mehr auf altbekannte Aktionen am Boden und in der Luft. Militärisch von grosser Bedeutung sind gemäss Bericht vor allem die immer zahlreicheren und leistungsfähigen Sensoren und Cybermittel. Auf digitaler Ebene herrscht schon längst permanenter Kriegszustand. Täglich werden staatliche Institutionen, Firmen, aber auch jede und jeder Einzelne angegriffen. Der Datenklau, das Kapern und Lahmlegen ganzer Computersysteme ist allgegenwärtig. Das dauernde Verbreiten von Falschmeldungen auf allen Kanälen gehört ebenfalls zur Tagesordnung.

Von Belang sind aber auch für die Armee die dank der sich rasant entwickelten Technologie immer präziseren Waffensysteme – meist ferngesteuert – und die immer präziser wirkende Munition. Ferner sind Entwicklungen in der Robotik, also unbemannte Systeme in der Luft (Drohnen) und auch zunehmend zu Land und zu Wasser, zu berücksichtigen. Essenziell wird dabei die Fähigkeit sein, all diese Komponenten zu vernetzen, und nicht zuletzt die Möglichkeit, Informationen, aber auch Desinformationen, rasch zu verbreiten.

Die Mängelliste im Bericht ist lang, gleich lang oder noch länger ist die Liste mit den nötigen Massnahmen und von der Armee gewünschten Anschaffungen zur Behebung. Die Fitmachung und Ertüchtigung der Armee wird eine Stange Geld kosten. Würden sämtliche Systeme, die in den kommenden Jahren ans Ende ihrer Nutzungsdauer gelangen, 1:1 ersetzt und gleichzeitig neue Fähigkeiten aufgebaut, so würde sich der gesamte Finanzbedarf  – Schätzungen im Bericht zufolge – auf über 40 Milliarden Franken belaufen. Im Zeitraum von 2024 bis 2031 werden insgesamt gegen 13 Milliarden Franken benötigt.

Erhöhung des Armeebudgets

Die Politik hat immerhin schon gehandelt: Mit der vom Parlament beschlossenen, schrittweisen Erhöhung des Armeebudgets auf 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts bis spätestens 2030 stünden dazu genügend Finanzmittel zur Verfügung. Mit den Beschlüssen des Bundesrates zur Beseitigung des strukturellen Defizits werden die Ausgaben der Armee indessen langsamer anwachsen und das Ziel von 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts erst 2035 erreichen. Damit werden die ersten Schritte zur Verstärkung der Verteidigungsfähigkeit erst in den späten 2030er-Jahren vollzogen sein. Grössere Rüstungsbeschaffungen dauern in der Schweiz erfahrungsgemäss zwischen sieben und zwölf Jahre.

Der Zeitpunkt für die Armeeschau«Connected» auf dem Waffenplatz Kloten-­Bülach war möglicherweise gar nicht schlecht gewählt. Die Armee hat sich in den letzten Jahren immer mehr aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verabschiedet. Sie hat sich zu fest in die Kasernen und auf die Übungsplätze zurückgezogen. Das war eventuell politisch auch so gewollt. Doch jetzt, wo der Krieg in der Ukraine tobt, ist das Interesse der Öffentlichkeit an der Leistungsfähigkeit der eigenen Armee zweifellos gestiegen.

Im Bericht wird unmissverständlich festgehalten: «Ob die Schweiz in einen Krieg verwickelt wird, hängt auch von ihrer Fähigkeit ab, ihr Territorium zu verteidigen. Dazu muss die Armee fähig sein, einen Gegner von einem bewaffneten Angriff abzuhalten, und zwar in allen Wirkungsräumen, also am Boden, in der Luft und neu auch eben im Cyberraum.» Abhalten bedeute auch, einen Gegner schon vorgängig zu überzeugen, keine militärische Gewalt anzuwenden. (Markus Lorbe)

Dennis Baumann
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