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Stadt Zürich
30.11.2024
30.11.2024 16:52 Uhr

Tsüri feiert: So geht Lokaljournalismus

Feiern kann sie, die Crew von Tsüri.
Feiern kann sie, die Crew von Tsüri. Bild: Lorenz Steinmann/Zürich24
Tsüri, das lokale Online-Medienunternehmen, zelebrierte am Freitag sein 10-jähriges Bestehen im EWZ-Unterwerk Selnau. 200 Fans kamen und feierten sich selbst. Chefredaktor Simon Jacoby verkündete eine Stellenaufstockung und das baldige Erreichen der Umsatz-Millionengrenze.

Das eben zehn Jahre alt gewordene Onlineportal Tsüri.ch (nicht zu verwechseln mit den Produkten von tsüri-Food) lud zur grossen Sause im Unterwerk Selnau. Und es kamen immerhin etwa 200 Fans. Dabei ist Tsüri vor allem online aktiv. Gegen 2700 Personen klicken täglich  auf tsüri.ch, das «Tsüri»-Briefing jeweils um 6 Uhr früh hat laut eigenen Angaben 15'000 Abonnentinnen und Abonnenten. Der Umsatz beträgt fast eine Million Franken pro Jahr. Das sind respektable Zahlen für ein Kleinunternehmen, das von gut 2000 Membern finanziert wird. Doch die gut 10 Mitarbeitenden müssen mit etwas über 4000 Franken im Monat über die Runden kommen.

Zu grosse Selbstausbeutung

Als «Selbstausbeutung» bezeichnete Gast und Redner Hannes Britschgi demzufolge das Geschäftsmodell. Der ehemalige Leiter der Ringier-Journalistenschule outete sich vor dem gut gelaunten Publikum als Tsüri-Fan, «weil meine Tochter da ihr Praktikum machte». Britschgi lobte Tsüri, weil junge Journalistinnen und Journalisten hier erste Schritte im Mettier wagen könnten, ohne den Druck von Verlegern und Chef-Redaktionen zu spüren.

Wenig Wissen und viel Zeitdruck

Über die grossen Medienhäuser machte sich Nationalrätin Jacqueline Badran (SP) lustig, indem sie von Telefonate mit jungen Journalistinnen und Journalisten erzählte. Fazit: Wenig Wissen und viel Zeitdruck. Tsüri sei neben dem Beobachter, der Republik, sowie hin und wieder dem Blick, respektive dem Sonntagsblick das einzige Medium, das noch recherchiere. Badran betonte, wie wichtig Lokaljournalismus sei und verwies auf Gebiete im Osten Deutschlands oder den USA, wo es keine unabhängigen Medien mehr gebe. Mir klarem Resultat des Rechtsrutsches.

  • Jolanda Spiess Hegglin, links Simon Jacoby. Bild: Lorenz Steinmann/Zürich24
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  • Jacqueline Badran, SP-Nationalrätin aus Wipkingen. Bild: Lorenz Steinmann/Zürich24
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  • Hannes Britschgi, von 2011 bis 2022 Leiter der Ringier-Journalistenschule. Bild: Lorenz Steinmann/Zürich24
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  • Daniel Fritsche (NZZ). Bild: Lorenz Steinmann/Zürich24
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Eingeladen als Rednerin war auch  Jolanda Spiess Hegglin. Die ehemalige Kantonsrätin (Grüne, Luzern) hat einige Berühmtheit erlangt wegen einem Sexualdelikt im Rahmen der Landammann-Feier 2014, das war gerade etwa in der Zeit, als Tsüri gegründet wurde. Das «Sex-Thema» wurde gegen den Willen von Spiess Hegglin medial breit gekocht. Vor allem der Blick berichtete genüsslich und mit vollem Boulevard-Groove. Es folgten Gerichtsverfahren, die bis heute nicht beendet sind. Spiess Hegglin kämpft seit zehn Jahren und dem Vorfall in der mittlerweile berühmt-berüchtigten Captains Lounge in Luzern gegen digitale Gewalt, führt aber auch Privatfehden, etwa gegen die «Tagi»-Journalistin Michèle Binswanger. Am Tsüri-Abend sprach sie vor allem von ihrem neuen Buch, das in diesen Tagen erscheint. Und sie nervte sich ein wenig über den Lärm, den eine andere Festgemeinde im anderen Teil des Saales machte.  

Der Streit zwischen NZZ und Tsüri

Einen Auftritt  hatte auch Daniel Fritsche, Ressortleiter Zürich der Neuen Zürcher Zeitung. Er wagte sich in die Höhle des Löwen. Aufsehen erregt hatten sowohl NZZ wie auch Tsüri in den den letzten Wochen und zumindest in der Szene. Die NZZ witterte einen Skandal («Subventionierte Kulturhäuser kaufen sich Journalismus») und Tsüri konterte und beschrieb, dass die NZZ über eine halbe Millionen jährlich vom Staat kassiere, etwa wegen dem Zürcher Film Festival. Beobachter staunten, dass die NZZ sich mit so einem kleinen Medienportal auseinander setzte.

Tsüri will in Züritipp-Bresche springen

Für Tsüri-Chefredaktor Simon Jacoby jedoch ein gefundenes Fressen, sich in Szene zu setzen. Wer sich mit den Grossen anlegt, hat die Schlagzeilen eher auf seiner Seite. Überhaupt. Marketing, das können Jacoby und seine Crew tatsächlich. Allianzen schmieden, Medienpartnerschaften eingehen, Themen besetzen, die Leute zwischen 20 und 30 beschäftigen, sowie Lobbyarbeit machen, etwa mit der Gründung des Verbands «Medien mit Zukunft». Generös, ja fast schon gönnerhaft verkündete Jacoby eine Lohnerhöhung für alle, sowie zwei zusätzliche Stellen, weil man ja bald die Funktion des auf Ende Jahr eingestellten «Züritipps» übernehme. Wie hoch die Lohnerhöhung sei, das hingegen wollte Jacoby gegenüber Hannes Britschgi nicht sagen. Eine Sekunde lang fühlte man sich in die Zeit zurück versetzt, als Britschgi unliebsame Zeitgenossen auf dem «heissen Stuhl» in der Rundschau von SRF hart interviewte und diese abblockten.

Was Jacoby und Regierungsrat Fehr gemeinsam haben

Doch zurück zu Fritsche. Dieser meisterte seine Rolle als «Advocatus Diaboli» mit Witz und Selbstironie. Lacher erntete er mit der Recherche, dass Simon Jacoby in jenem Haus aufgewachsen sei, in welchem heute Regierungsrat Mario Fehr (parteilos) lebe. «Kein Wunder, hat Tsüri Mario Fehr zum beliebtesten Politiker Zürichs erkoren», lästerte Fritsche.

Die FDP war auch vor Ort

Alles in allem ein gelungener Abend. Der Organisatoren ist Respekt zu zollen. Immerhin waren im Publikum mit FDP-Parteipräsident Përparim Avdili und Sven Sobernheim (GLP-Co-Fraktionspräsident) auch zwei Politiker präsent, die wohl nicht alle Inhalte von Tsüri widerspruchslos unterschreiben.

Wo blieben die jungen Rednerinnen?

Etwas stutzig machte höchstens, dass sich unter den eingeladenen Rednerinnen und Rednern niemand aus der Zielgruppe 20- bis 30-Jährige befand. Und ja, auch die durchaus spannende Medienpartnerschaft mit dem in der ganzen Deutschschweiz präsenten Portal Nau.ch war kein Thema. Nau übernimmt gelegentlich lokale Geschichten von Tsüri und verhilft Tsüri so zu spürbar grösserer Reichweite.

Da liess sich auch verkraften, dass das Ende der Quartierzeitungen Züriberg, Zürich West, Zürich 2 und Zürich Nord in der heutigen Form auf Ende 2024 ebenfalls kein Thema war, als es um den Lokaljournalismus ging. 

Lorenz Steinmann/Zürich24
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