Wenn jemand erklären kann, wie gutes Improvisationstheater genau funktioniert, dann sind es Simone Schwegler und Björn Bongaards vom Theaterensemble «anundpfirsich» in Zürich. Ende Mai kehrten die beiden Schauspielenden von der Europameisterschaft im Improvisationstheater in München mit dem Siegerpokal in den Händen zurück: «Wir haben viel Unterstützung aus der Schweiz dabeigehabt und das war auch ein Grund, wieso es für uns so gut gelaufen ist», urteilt Simone Schwegler.
Die Europameisterschaft im Improvisationstheater ist Teil des Kunst- und Kulturprogramms der laufenden Fussball-Euro in Deutschland. 18 Theatergruppen aus 18 Nationen hatten jeweils eine Delegation von Schauspielenden nach München entsandt, um auszumachen, wer in Sachen europäischem Improvisationstheater die Nase vorn hat. Nach etlichen Vorrunden schaffte es das Team aus der Schweiz bis in den Final und konnte sich dort gegen Rumänien durchsetzen.
Damit sich die Vielzahl an teilnehmenden Nationen gegenseitig verstehen konnten, wurde der Wettkampf in englischer Sprache ausgefochten. Angetreten war das Zürcher Ensemble zu dritt. Für Romeo Meyer, die dritte Person des Trios, standen nach der siegreichen Rückkehr aus München aber erst einmal Ferien an, weshalb er nicht am Gespräch mit dieser Zeitung teilnehmen konnte.
Theater als Sportart
Nun also der Ortstermin im pulsierenden Zollhaus bei der Langstrasse. Wie genau lässt sich Theater bewerten und wann wird Theater zur Sportart? Im Gegensatz zum klassischen Theater, bei welchem das Publikum nicht miteinbezogen wird und nur die Schauspielenden auf der Bühne miteinander interagieren, spielt das Publikum beim Improvisationstheater eine elementare Rolle. Denn das Publikum entscheidet vor jeder Szene mit der Eingabe eines oder mehrerer Stichworte, um welche Inhalte sich die Szene auf der Bühne drehen soll. Die Schauspielenden haben dabei keine Ahnung, welche Themen aus dem Publikum kommen werden: «Wenn wir auf die Bühne gehen, wissen wir nicht, was passieren wird, und wir müssen so enorm aufeinander vertrauen können», verrät Simone Schwegler.
Die Kunst des Improvisationstheaters liegt nun darin, anhand dieser gerade erst vernommenen Stichworte ein Schauspiel aufzubauen: «Es handelt sich um die Technik des assoziativen Denkens. Man hört etwas, man sieht etwas und dem fügt man entsprechend etwas bei», erklärt Björn Bongaards. Dass es dabei auch zu Missverständnissen zwischen den Schauspielenden kommen kann, liegt auf der Hand: «Dies sind jeweils die schönsten Momente auf der Bühne, wo der Funke der Improvisation so richtig auf den Spielpartner überspringt», sagt Bongaards. Wenn mehrere Gruppen auf der Bühne gegeneinander antreten und das Publikum anschliessend zu bewertet hat, welche Gruppe sich in der jeweiligen Situation am überzeugendsten angestellt hat, wird das Theaterspiel zur eigentlichen Sportart.
Sowohl im Leben von Simone Schwegler als auch in jenem von Björn Bongaards gab es einen Punkt, an welchem beide entschieden, dass Improvisationstheater für sie mehr ist als nur ein Hobby und sie diese Form des Theaters als ihren Beruf wählen möchten. Ursprünglich absolvierten beide eine Ausbildung in einem anderen Bereich. Bei Björn Bongaards war es eine Ausbildung zum Logistiker. In der Mittelschule wählte er das Wahlfach Theater und sammelte so schon einige Erfahrungen in der Theaterwelt. Das erste Mal in Kontakt mit Improvisationstheater kam er vor vielen Jahren während eines Sprachaufenthalts in Toronto, Kanada. Dort besuchte er eine Show der kanadischen Improvisationsgruppe «The Second City» und war sofort Feuer und Flamme für diese Form des Theaters: «An diesem Abend entschied ich für mich, dass es improvisiertes Theater war, was ich mit meinem Leben anfangen wollte», hält Bongaards fest.
Für Simone Schwegler stand am Anfang ihrer beruflichen Karriere die Ausbildung zur Primarlehrerin. Sie arbeitete vorerst mehrere Jahre auf diesem Beruf. Während ihrer Gymizeit war sie bereits für ein freies Theater in Zürich auf der Bühne gestanden, hatte also ebenfalls schon Theatererfahrung. An einem Punkt in ihrem Leben musste sie sich entscheiden, welchen Beruf sie weiter ausüben wollte. Ab 2011 setzte sie nur noch auf die Schauspielerei und stiess ein Jahr später zum Theaterensemble, wo sie bis heute angestellt ist.
Improvisieren ist lernbar
Zu Hause ist die Theatergruppe «anundpfirsich» seit 2021 im Zollhaus an der Ecke Langstrasse/Zollstrasse. Neben Konferenzräumen, Gastrobetrieben und Geschäften bietet der Saal im Erdgeschoss des Zollhauses die ideale Räumlichkeit für die Theatergruppe: «Dank der zentralen Lage können unsere Besuchenden erst zu uns ins Theater kommen und anschliessend ins Langstrassenquartier in den Ausgang», sagt Bongaards. Neben den drei bis vier Bühnenvorstellungen, die das Theaterensemble wöchentlich und mit grosser Nachfrage anbietet, hat das Improvisationstheater «anundpfirsich» noch ein weiteres Standbein.
In verschiedenen Workshops, Kursen und Seminaren können sich Interessierte in der Kunst des Improvisierens aus- und weiterbilden lassen. Denn nicht nur auf der Bühne sind Fähigkeiten wie die des assoziativen Denkens gefragt, sondern auch im täglichen Leben: «In unseren Kursen möchten wir den Teilnehmenden die Philosophie und Fähigkeit der Improvisation näherbringen.» So nehmen Menschen an den Workshops teil, die beispielsweise eine grosse Präsentation vor vielen Mensch zu halten haben und lernen möchten, wie sich ein Vortrag auf möglichst überzeugende und ansprechende Art und Weise gestalten lässt.
Sowohl auf der Bühne als auch in den angebotenen Kursen geht es immer darum, mit einer unvorhergesehenen Situation, in die jemand gerät, bestmöglich umzugehen. Anfangs stellt sich eventuell eine lähmende Bestürzung ein und die betroffene Person weiss vielleicht erst einmal gar nicht, wie weiter. Und genau dort setzen die Techniken der Improvisation an: «Egal was auch passiert, ich nehme die Situation an und füge assoziativ meinen Beitrag hinzu», erklärt Bongaards. Schwegler ergänzt: «Wir wollen zeigen, dass sich jemand trauen darf, nicht alles zu hundert Prozent im Griff zu haben.»
So ist es das Ziel, die widerfahrene Situation nicht abzulehnen, sondern sie anzunehmen, wie schwer sie auch sein mag. Es geht darum, dem Leben mit Offenheit zu begegnen. Beide sagen übereinstimmend, dass ihnen die Fähigkeit der Improvisation nicht nur auf der Bühne ein hilfreiches Werkzeug sei, sondern auch in sämtlichen unvorhergesehenen Momenten, die das Leben nicht nur für die beiden, sondern für uns alle bereithalte.